Die Albaner der Schweiz und der Islam

Schweizer des Jahres 2014“ Imam Mustafë Memeti im Interview

Mit dem Imam Mustafë Memeti wollten wir uns vor dem Haus der Religionen treffen. Memeti ist einer der wohl grössten Befürworter und Unterstützer vom Haus der Religionen, das alle Glaubensrichtungen unter einem Dach bringt. Die Moschee nimmt einen bedeutenden Teil des imposanten Gebäudes ein. Mustafë Memeti hat sich immer dafür ausgesprochen, dass die Moscheen von den dunklen Kellern rausgeholt werden. Darum ist er glücklich über das Haus der Religionen.

Wie Memeti erzählt, ist er in die Schweiz wie alle anderen Albaner gekommen, um hier Arbeit zu finden und das Leben seiner Familie zu verbessern. Doch als er ankam, wurde ihm die gleich Möglichkeit geboten als Imam zu dienen. Im Jahr 1995 gründete er die albanische Moschee in Bern, wo er auch heute noch als Imam dient. Die angesehen SonntagsZeitung wählte ihn zum Schweizer des Jahres 2014.

albinfo.ch: Lassen Sie uns über die extremen Strömungen des Islam sprechen. Diese halten die ganze Welt in Atem und stellen eine ernste Gefahr dar. Solche Tendenzen sehen wir leider auch unter den albanischen Muslimen. Sie haben sich sehr klar und deutlich gegen solche Strömungen ausgesprochen. Was denken Sie, was ist die Ursache dieser extremen Bewegungen?

M.Mehmeti: “Meiner Meinung nach haben die Institutionen der Religion und andere Institutionen des Landes grosse Fehler gemacht. Das Phänomen des extremen Islam beobachten wir seit den 1990er Jahren. In der Phase der Transition hat uns eine Strategie gefehlt, wie man das Volk führen soll. In dieser Hinsicht haben wir als Gesellschaft völlig versagt – die Extremisten haben also viel Raum gehabt, um ihre Gesinnung auszubreiten. Sie haben unsere Gemeinden und unsere Moscheen unterwandert. Jetzt ist es schwierig, einen Ausweg zu finden. Es ist schwierig aber nicht unmöglich. Ich denke, der einzige Weg für die albanischen Muslime ist, unserer religiöse Tradition aufzubewahren. Wir sollten die Religion so ausleben, wie wir es schon immer ausgelebt haben. Wir sollten ein Programm und eine Strategie über unsere Vergangenheit, die Gegenwart und unsere Zukunft aufstellen, damit wir unsere religiöse Tradition und Identität aufbewahren.

Ich denke, die regressive Philosophie hat sich bei den Menschen ausgebreitet, die keine Tradition des Glaubens und des praktischen Auslebens der Religion gehabt haben. Dies ist auch hier in der Schweiz festzustellen. Es ist wie eine Art Rache gegen die eigene Nicht-Religiöse Vergangenheit.

albinfo.ch: Sie haben sich auch vor Jahren gegenüber Schweizer Medien bezüglich des Schwimmunterrichts ausgesprochen. Einige Eltern berufen sich auf islamische Regeln und wollen ihre Töchter vom Schwimmunterricht fernhalten.

M.Mehmeti:  Einige praktizierende Moslems wollen uns vorschreiben, wie wir die Religion auszuleben haben. Ich sage aber, man kann die Religion nie in perfekter Art und Weise ausleben. Ich habe mich klar gegen die Einstellung ausgesprochen. Und hierfür haben mich einige als “Marionette” beschimpft, ich würde für die Assimilation arbeiten usw. Doch auch der Prophet selbst hat Menschen gesagt, die nach Perfektion gestrebt haben; “Ihr könnt mich nicht imitieren”. Darum bin ich davon überzeugt, dass der islamische Glaube uns nicht daran hindert, in der modernen Welt anzukommen und zu leben. Der Glaube sollte uns nicht von der Bildung oder beim Aneignen von Fähigkeit hindern. Wir brauchen mehr Liberalität und Akzeptanz – ohne sie haben wir keine Zukunft, auch nicht innerhalb unserer Moscheen. Darum haben wir sogar innerhalb der albanischen Moscheen gewisse Konflikte. Ich wünsche mir eine islamische Praxis hier in der Schweiz, jedoch nicht so, wie es in der arabischen Welt oder auf dem Balkan herrscht. Wir müssen unsere Religion hier so ausleben, dass es uns Stabilität, Hoffnung und seelischen Frieden bringt.

albinfo.ch: Sie setzen sich für eine liberale, ja sogar kreative Interpretation des Islam. Ist eine solche Interpretation heute irgendwo auf der Welt zu finden?

M.Mehmeti:  Das grösste Problem liegt daran, dass jeder Religion studieren darf. Es gibt keine Filter, keine Kriterien. Die Theologie braucht visionäre Persönlichkeiten. Für mich ist es wichtig, dass die Religion in den Dienst der Menschen steht und niemals zum Nachteil der Menschen führen. Eine solche Doktrin wird überall auf der Welt verfolgt. Doch leider sind regressive Kräfte, die von der Mehrheit der weniger gebildeten Klassen, stärker.

albinfo.ch: Neben den verbalen und sogar schriftlichen Drohungen, wurde auch ihre Moschee angegriffen.

M.Mehmeti: : Unsere Entscheidung für das Projekt “Haus der Religionen” war nicht einfach. Das Projekt ist ein Ergebnis der Atmosphäre nach dem 11. September 2001. Es wurde von grosszügigen, humanitären, kosmopolitischen Menschen vorangetrieben.. Es ist die einzige Alternative, die wir den Menschen bieten können und der Beweis dafür, dass wir trotz erheblicher Differenzen zwischen Religionen, Kulturen dennoch in Frieden zusammen leben müssen. Und nun spüren wir den Wiederstand der Konservativen und Ignoranten, oder einfach derer, die ihre Interessen durch dieses Projekt gefährdet sehen.

Viele Menschen haben sich gegen unsere Entscheidung ausgesprochen – wir sollten nicht unter einem Dach mit anderen Religionen sein. Und sie haben meine Abwesenheit genutzt – ich war zu dieser Zeit in Hadsch – und haben meine Büros und meine Moschee angegriffen. Dies war ein Signal für uns, dass wir die Situation beobachten und wachsam bleiben müssen.

albinfo.ch: Sie haben gesagt, man müsse die Sicherheitsorgane über Anzeichen von extremistischen Entwicklungen in den Moscheen informieren.

M.Mehmeti: : Ich denke, ein Imam, der hier in der Schweiz dient, sollte über seine Umgebung Bescheid wissen; er sollte die öffentliche Ordnung kennen. Für mich ist es unverständlich, wenn ein Imam sich hier illegal aufhält und dann hier prädigt. Wie kann es sein, dass man sich hier illegal aufhält und dann gege die hiesige Gesellschaft aufhetzt und Hass schürt, in dem man Gläubige anderer Religionen als “Ungläubige” beschimpft. Wenn wir uns dies vor Augen führen, dann lieg es auf der Hand, dass wir die Einheimischen einladen, uns zu besuchen – denn wir haben nichts zu verstecken oder zu verbergen. Diejenigen, die keinen Mut haben, Verantwortung zu übernehmen, sollten sich nicht vor dem Volk stellen.

albinfo.ch: Viele Muslime reagieren mit Hass und Gewalt gegen die Beleidigung des Propheten und des Islam. Zuletzt waren wir Zeugen des  Massakers von Paris. Wie erklären Sie sich das?

M.Mehmeti:  Die Menschen müssen die Werte des Landes kennen, in dem sie Leben. Im Westen kennt man eben nicht ein Gesetz gegen die Blasphemie. Und jetzt kommen Einwanderer und wollen den Einheimischen Gesetze oder neue Werte imponieren. Darum sage ich, wir Muslime, die hier frewillig gekommen sind, sollten nicht eine Störung für dieses Land darstellen und die Werte des Westens in Frage stellen. Unser Ziel ist es, Wege zu finden, wie man trotz dieser Situationen in Frieden und glücklich zusammen leben kann. Überall gibt es Dinge, die uns gefallen oder auch nicht. Darum müssen wir transparent sein und objektiv handeln. Wir müssen mit den Dingen, die uns nicht gefallen, so gut es geht, klar kommen. Wir sollten uns aber auch klar und deutlich äussern, wenn wir uns provoziert oder diskriminiert fühlen. Doch wir dürfen in keinem Moment versuchen, den Islam mit brutaler Gewalt irgendwie zu beschützen, wie es einige Individuen tun. Wer hat ihnen dieses Recht gegeben? Nur der Staat – und keinesfalls Individuen odr Gruppen – darf Menschen aufhalten, die etwas Schlimmes tun.

albinfo.ch: Es ist geplant, im Rahmen der theologische Fakultät an der Uni Fribourg auch einen Studiengang zu islamischen Studien zu gründen. Was stehen Sie dazu?

M.Memeti: Ich bin von Anfang an, Teil der Arbeitsgruppe zur Gründung der Fakultät gewesen. Diese Gruppe ist jetzt ein Senat, in dem ich mich weiterhin engagiere. In diesem Zusammenhang bin ich ein Pionier unter den albanischen Muslimen. Die Gründung der Fakultät für islamische Studien ist ohne Zweifel begrüssenswert. Es hat eine breite öffentliche Debatte gegeben. Wir müssen nach Alternativen suchen, wie wir die Imame hier bei uns ausbilden. Sie sollten in der Zukunft nicht mehr aus dem Ausland kommen, denn dies ist ein sehr schwieriger Prozess und birgt Konfliktpotential. Es kommen zum Beispiel Imame, die wir nicht kennen und die über Themen sprechen, die nichts mit der hiesigen Realität oder mit unseren Bestrebungen in diesme Land zu tun haben. Rechte politische Parteien sprechen sich klar gegen die Gründung der Fakultät, doch progressive Kräfte sind sehr aktiv. Ich hoffe, dass die islamische Fakultät an der Uni Fribourg sehr bald Realität wird.

albinfo.ch: Doch wenn es gegründet wird, wo wird man entsprechendes Personal finden?

M.Memeti: Das Studienprogramm ist noch nicht festgelegt worden. Es ist noch nicht ganz klar, was man dort genau studieren wird können. Doch es wird nicht nur eine Fakultät zur Ausbildung von Imamen sein. Und dies ist der Unterschied zwischen den theologischen Fakultäten auf dem Balkan oder in der islamischen Welt. Wir wollen keine Leute ausbilden, die sich nicht in anderen Berufen integrieren können. Die Idee ist, dass man dort Menschen ausbildet, die sich Kenntnisse von mehreren Bereichen aneignen können und die in mehreren Berufen im sozialen Bereich arbeiten können. Sicherlich werden die Ausgebildeten dort keine Koran-Spezialisten sein. Sie werden aber die Basis haben, worauf sie sich weiterbilden können. Was die Lehrkraft betrifft, werden wir je nach Studienbereich Forscher und Professoren auch aus dem Ausland einladen. Doch sie werden sich einer Prüfung und Verifikation stellen müssen.

Seelsorge

Imam Mustafa Memeti ist auch dafür bekannt, dass er die Seelsorge für muslimische Gläubige in Gefängnissen, in der Arme oder im Krankenhaus gebracht hat. Er übt dieses Engagement zu 50% aus. Die restliche Zeit ist er Imam in der albanischen Moschee in Bern. Die Seelsorge ist weit verbreitet in christlichen Praxis, doch unter den Muslimen wird dies nicht praktiziert.

„In den theoretischen Debatten gibt es Unstimmigkeiten, inwieweit der Islam die Institution der Seelsorge kennt. Doch die Experten kommen zum Schluss, dass wir als Teil dieser Gesellschaft die Institution der Seelsorge ebenso brauchen. Konservative einheimische Kräfte wollen uns daran hindern, aber auch innerhalb der muslimischen Gläubigen gibt es Wiederstand. Die Seelsorge wird jedoch immer mehr akzeptiert. An erster Stelle soll eben die Seelsorge stehen und weniger das Predigen. Es ist alles auf freiwilliger Basis. Es laufen aber Gespräche die Seelsorge für muslimische Gläubige ebenso zu institutionalisieren, wie es auch im christlichen Glauben ist“, erklärt Memeti.


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