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Transnationale Ehen, zwischen Normalität und Tabu

In der Studie ‚Transnationale Ehen in der Schweiz’ geht es um Heiraten zwischen in der Schweiz geborenen oder aufgewachsenen Personen mit jemandem aus dem Herkunftsland der Eltern. Albinfo.ch sprach mit Koautorin, Shpresa Jashari

Transnationale Ehen – eine abstrakte Bezeichnung für eine ebenso konkrete wie vertraute Sache: Die Heirat zwischen einer in der Schweiz lebenden Person mit Migrationshintergrund und einer Partnerin oder einem Partner aus dem Herkunftsland derselben.

Dieses Phänomen bildet den Untersuchungsgegenstand des Forschungsprojektes „Transnationale Ehen in der Schweiz“, an welchem auch unsere Gesprächspartnerin Shpresa Jashari als Forscherin teilhat. Shpresa Jashari hat das Studium der Germanistik, des Völkerrechts und der Politikwissenschaft an der Universität Zürich abgeschlossen und ist nun als Doktorandin an der Universität Neuchâtel tätig, im Fachbereich „transnationale Studien und soziale Prozesse“.

„In der Studie ‚Transnationale Ehen in der Schweiz’ geht es um Heiraten zwischen in der Schweiz geborenen oder aufgewachsenen Personen mit jemandem aus dem Herkunftsland der Eltern. Dieses Thema wird ja in der Schweiz seit einigen Jahren sehr kontrovers diskutiert und längst nicht mehr als Privatsache gehandelt; es ist zum Thema der Politik geworden.

Das Projekt wird an der Universität Neuchâtel durchgeführt und finanziert durch den Schweizerischen Nationalfonds. Unser Team besteht aus Prof. Janine Dahinden, Joëlle Moret und mir“, sagt Shpresa Jashari, Mitautorin der kürzlich gestarteten Studie.

„Wir haben mit den ersten Interviews begonnen und es zeichnet sich bereits ab, wie komplex und vielfältig das Phänomen ist – ganz im Gegensatz zu den einseitigen und oft stereotypisierenden Diskursen, die im Umlauf sind. Das Projekt ist gut gestartet; aber wir sind erst am Anfang und suchen natürlich weitere Interviewpartnerinnen und Interviewpartner“, ergänzt Shpresa Jashari.

Transnationale Paare sollten nicht unter Missbrauchsverdacht gestellt werden

Die Emotionalität, mit der die Debatte rund um arrangierte Heiraten oder Zwangsehen geführt wird, hat eine wissenschaftliche Bearbeitung dieses Themas befördert und notwendig gemacht. Dem stimmt die Mitarbeiterin der Studie zu:

„Auf jeden Fall, ja. Wo das Thema eine solche Aufmerksamkeit erlangt hat im öffentlichen Diskurs und auf der politischen Agenda im Zusammenhang mit Zwang, Konflikt und Missbrauch erscheint, ist es entscheidend, genau hinzuschauen und das Phänomen zunächst Mal zu verstehen. Es ist wichtig für das gesellschaftliche Zusammenleben generell und für die Politik im Besonderen, dass die öffentlichen Debatten informiert verlaufen – und transnationale Paare nicht etwa pauschal unter Missbrauchsverdacht gestellt werden.“

In der Studie gehe es wesentlich darum, die betroffenen Personen selbst zu Wort kommen zu lassen: Wie erzählen sie die Geschichte ihrer Heirat? Was ist aus ihrer Sicht wichtig bei der Partnerwahl? Inwieweit hängt diese mit den politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen oder diskursiven Kontexten in der Schweiz aber auch im Herkunftsland zusammen? Dieser Fokus auf die Perspektive der Betroffenen erlaubt es, die sozialen Praktiken, Strategien und Repräsentationen zu ermitteln, die mit transnationalen Ehen einhergehen. Zudem wird es möglich, das komplexe Gefüge von Bedingungen zu verstehen, in das sie eingebettet sind: restriktive Migrationspolitiken, Politisierung und Kulturalisierung sozialer Problemlagen.

Nach den Zielgruppen der Studie gefragt, äussert sich unsere Gesprächspartnerin wie folgt: „Wir gehen nicht von einer bestimmten ethnischen oder nationalen Gruppe aus. Dabei suchen wir Interviewpartnerinnen und Interviewpartner, bei denen sich eine transnationale Heirat anbahnt oder bereits geschlossen wurde, wie auch Personen, die aus einer solchen getrennt sind.

Dabei kommen auf der einen Seite Personen in Frage, die – respektive deren Eltern – aus einem Nicht-EU-Land in die Schweiz immigriert sind und in der Schweiz aufgewachsen sind, und auf der anderen Seite die PartnerInnen dieser Personen. Sämtliche Formen solcher Heiraten, unproblematische sowie konflikthafte, sind von Interesse für das umfassende Verständnis transnationaler Heiraten, das die Studie anstrebt.“, sagt Jashari, die anschliessend auf die Schwierigkeiten hinweist, mit welchen das Team sich konfrontiert sieht bei der Arbeit:

„Es ist in der Tat nicht ganz einfach Leute für die Interviews zu gewinnen. Das hängt auch mit den obengenannten existierenden Vorurteilen zusammen, mit denen sich transnationale Paare konfrontiert sehen. Aber wir haben bei den bereits geführten Interviews sehr gute Erfahrungen gemacht, und es herrscht eine tolle Atmosphäre. Wir freuen uns auf die weiteren Gespräche!“.

Transnationale Ehen sind keine Frage der Kultur

Wenn von arrangierten Ehen und ähnlichen Themen die Rede ist, entkommen auch die Albaner oft nicht einer Erwähnung. So ist auch die Frage an Shpresa Jashari unausweichlich, inwiefern die Albaner im Fokus der Studie stehen und, in diesem Zusammenhang, ob die Tatsache, dass sie Albanerin ist dazu beigetragen hat, dass sie Teil des Teams geworden ist:

„Transnationale Ehen sind keine Frage der Kultur; sondern es geht um soziale Prozesse, die sehr komplex sind. So macht es für unsere Studie keinen Sinn, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe herausgreifen oder zu zeigen: Diese Leute sind so und so. Was wir aber natürlich durchaus möchten, ist Personen zu befragen, die vom Diskurs ums Thema tatsächlich betroffen sind. Und dazu gehören, wie Sie zur Recht sagen, nebst Personen aus zum Beispiel der Türkei, Sri Lanka oder Somalia auch Menschen aus Kosova, Mazedonien und Albanien.

Dass ich Albanisch spreche, ist dabei sicher ein Plus für die Erhebung unserer Daten – aber ich hoffe doch sehr, dass es noch andere Gründe gab, mich für das Projekt zu engagieren!“

Die Länder, von denen die Rede ist im Hinblick auf die zur Debatte stehende Form von Ehe, haben gemeinsame Merkmale, wie etwa die Religion oder eine patriarchale Kultur. Welches Element ist ausschlaggebender für diese Heiratsform?

„Einmal davon abgesehen, dass wir bisher noch keine systematischen Analysen durchgeführt haben, und daher keine Ergebnisse nennen können – mir scheint die Tatsache, dass Sie spezifische Religionen oder Kulturen als Gründe hinter dieser Form der Eheschliessung vermuten, ein Beispiel für ebendiesen misstrauischen Diskurs rund um das Thema zu sein, von dem wir vorhin gesprochen haben. Ausserdem muss ich mich grundsätzlich fragen: Ist es etwas Negatives, mit jemandem zusammen sein zu wollen, der nicht aus der Schweiz kommt?“

In Anbetracht der grossen Unterschiede in Sachen Lebensstandard, die zwischen der Schweiz und den betreffenden Ländern bestehen, aus welchen die PartnerInnen in den untersuchten Ehen kommen, lautet unsere letzte Frage an Shpresa Jashari: Kann man sagen, dass das Eigeninteresse (an einem Visum, am Wohlstand in der Schwiez etc.) Einfluss hat auf diese Heiraten?

„Ich denke, das Wort Interesse trifft es hier in der Tat ganz gut, nur muss man den Begriff in seiner doppelten Bedeutung betrachten: Das Interesse im Sinne von Attraktivität, Neugier geht meist Hand in Hand mit dem Interesse, bei dem jemand auf den eigenen Vorteil schaut. Natürlich gibt in der Gesellschaft diese Vorstellung von der romantischen Liebe, in der das Interesse am anderen aus reinem Gefühl erwächst. Und dann gibt es auf der anderen Seite gab und gibt es doch immer auch bestimmte Gründe, warum eine Person für einen interessant ist. Diese Kriterien für die Partnerwahl wirken oft unbewusst, das heisst etwa, das Verlieben „passiert“ zumeist innerhalb derselben sozialen Schicht. Diese bewussten und unbewussten Kriterien können sehr verschieden sein: Ein bestimmter Bildungsstand, Prestige durch ein bestimmtes Aussehen oder einen bestimmten Beruf des Partners, bestimmte Hobbys oder Interessen, ökonomische Sicherheit (ob im In- oder Ausland), eine spezifische Familienstruktur oder gar, wenn wir etwa auf die Heiratsarrangements der europäischen Königshäuser in den vergangenen Jahrhunderten schauen, politisches Kalkül. Es gibt doch, wenn man sich in seinem Umfeld umschaut, sehr wenige Paare, die wirklich vollkommen unterschiedliche Dinge wollen und vollkommen verschiedene Vorstellungen vom Zusammenleben als Paar haben, nicht? Da bilden transnationale Paare keine Ausnahme.“

Wer will mitmachen?

Sind Sie interessiert, an der Studie teilzunehmen oder können uns mit Kontakten weiterhelfen? Wir freuen uns, von Ihnen zu hören: [email protected]

Tel: 032 718 14 65