Kosova

Viele Wege führen zu Weihnachten

Ein Besuch in Kosovos Hauptstadt Pristina zeigt: Weihnachten ist beliebt. Lichter, Christbäume und Girlanden schmücken die Strassen und Cafés. Überraschend: Die Mehrheit der Bevölkerung Kosovos und Pristinas ist muslimisch. Wie geht das zusammen? Leute aus Pristina und Umgebung erklären, weshalb Weihnachten unter Muslimen so populär ist

Wenn es in Pristina dunkel wird, strahlt der Mutter Terese Boulevard hell. Unzählige Lichterketten und leuchtende Sterne verwandeln die Flaniermeile in ein Meer aus Blau und Gold. An beiden Enden des Boulevards stehen imposante Christbäume, auf einem der zentralen Plätze treffen sich Jung und Alt auf dem Weihnachtsmarkt auf einen Glühwein. Weihnachtsmänner umarmen Passanten für ein Foto, aus den Lautsprechern tönen amerikanische Weihnachtslieder. Von den Decken der Cafés baumeln Christbaumkugeln und Lametta.

(Photo: Aleksandra Hiltmann)

Keine Berührungsängste

Kurz gesagt: In Pristina ist Weihnachten überall. Gleichzeitig sind laut der Kosovarischen Statistikagentur über 90 Prozent der Bewohner und Bewohnerinnen Pristinas Muslime.

„Wenn es etwas zu feiern gibt, dann solltest du immer feiern.“, sagt eine Frau mittleren Alters in einer Bar. Als Kind habe sie darauf bestanden, dass ihre Eltern einen Weihnachtsbau kaufen und dekorieren. „Wir sind fast alle Muslime hier, aber wir lieben Weihnachten.“ Ihre Freundinnen stimmen ihr zu. Sie finden die Weihnachtszeit eine gute Gelegenheit, sich mit Freunden zu treffen, die Dekorationen zu bestaunen und darauf einen Drink zu nehmen. „Du kannst immer einen Rakija trinken, sei es an Bajram oder Weihnachten.“

(Photo: Aleksandra Hiltmann)

Ethnische vor religiöser Identität

Ein Gespräch mit einem jungen Mann bei einem Glühwein gewährt tiefere Einblicke in den muslimisch-albanischen Zugang zu Weihnachten. „Es gibt ja auch Albaner, die Christen sind“, sagt er. Deshalb findet er, dass alle Albaner zusammen Weihnachten feiern können, egal, ob sie Christen oder Muslime sind. Diese Haltung spiegelt, was Akademiker und Analysten mehrfach beschrieben haben: In Kosovo sind ethnischen Identitäten das stärkste Zugehörigkeitsmerkmal. Sie stehen vor der kosovarischen und religiösen Identität (-allerdings sind ethnische und religiöse Identitäten oft aneinandergeknüpft.). „Für mich spielt es keine Rolle, ob du Christ oder Moslem bist – solange du Albaner bist.“, sagt der junge Mann mit dem Glühwein in der Hand.

Serbisch-orthodoxes Weihnachten wenig populär

Auf Nachfrage, ob man in Pristina auch das serbisch-orthodoxe Weihnachten feiern würde, hat der Mann eine klare Antwort: Nein. Er erklärt seine Haltung mit dem Krieg von 1999 und den Vorkommnissen davor. Die Achtziger- und Neunzigerjahre waren für die albanische Bevölkerung geprägt von Unterdrückung und Diskriminierung. „Damals war nicht die Frage, ob du grundlos verprügelt werden würdest, sondern eher wo und wie. Man kann sich das nur schwer vorstellen, wenn man es nicht selbst erlebt hat.“, erzählt der junge Mann.

Amerikanisierung der Festtage

Ein muslimischer Mann aus der Roma-Gemeinschaft sagt: „Das serbisch-orthodoxe Weihnachten wird in Pristina so gut wie ignoriert.“ Zwei Leute, die in einer serbischen Gemeinde wohnen bestätigen seinen Eindruck. Die beiden sehen das enthusiastische Verhältnis der muslimischen Albaner zum katholischen Weihnachten eher skeptisch. „Sie wissen gar nicht richtig, was eigentlich gefeiert wird.“, sagt eine der beiden Personen, die sich als „Frau vom Balkan“ bezeichnet. Sie findet, dass die Popularität von Weihnachten wohl daher rühre, dass das Fest als etwas Amerikanisches und Westliches empfunden werde. Ihr Kollege teilt diese Meinung. Er findet die Art, wie Weihnachten in Pristina gefeiert wird, sehr kommerziell. Der Feiertag sei stark vom westlich geprägten Kapitalismus eingenommen und der wahre Geist von Weihnachten dabei verloren gegangen. Dies gelte aber auch für die Feiertage anderer religiöser Gemeinschaften, findet der Mann, der selbst ein Kind aus gemischter Ehe ist – Serbisch – Ungarisch/Kroatisch. Er und seine Familie feiern jeweils katholische und orthodoxe Weihnachten und Heilige. Zu Bajram besucht er jeweils muslimische Romafamilien.

(Photo: Aleksandra Hiltmann)

Ein antikommunistischer Reflex?

Dieses Liebäugeln mit amerikanisierten und verwestlichten Interpretationen von Weihnachten könnten unter anderem mit dem Kommunismus des damaligen Jugoslawien zusammenhängen. Der muslimische Rrom erklärt, dass es zu Titos Zeiten verboten gewesen sei, religiöse Feiertage zu begehen. „Statt eines Christbaums haben die Leute deshalb einen Neujahrsbaum dekoriert.“ Diese Praxis sei sowohl bei Christen als auch Muslimen sehr beliebt gewesen. Er denkt, dass der Neujahresbaum ein Symbol für den nichtkommunistischen Westen gewesen sei. Für einige stand der Westen und Amerika für mehr Freiheit, auch Religionsfreiheit. Die wichtige Rolle, welche die USA während der Beendigung des Kosovo-Kriegs spielten, dürfte diese Wahrnehmung weiter gestärkt haben.

(Photo: Aleksandra Hiltmann)

Fazit: Viele Wege führen zu Weihnachten

Die Gespräche rund um Weihnachten in Pristina zeigen, dass der Zugang der Muslime zu diesem christlichen Feiertag vielschichtig ist. War es früher für die einen ein Statement gegen den Kommunismus, ist es heute für viele hauptsächlich Spass. Welches Fest Anlass dazu bietet, ist dabei zweitranging. Wieder andere fühlen sich durch ihre ethnische Identität mit dem Feiertag einer anderen Glaubensrichtung verbunden – Hauptsache, es ist ein Feiertag, den Albaner feiern. Diese Haltung wiederum spiegelt unter anderem das säkulare Element der albanischen Identität und wird in Verbindung mit der jüngeren leidvollen Vergangenheit des Kosovo gebracht. Dabei kommt auch klar zum Vorschein, wo die Gräben zwischen den Gemeinschaften des Landes liegen.

Trotzdem zeigen die Gespräche: Religion kann flexibel interpretiert werden. Sie kann den lokalen Gegebenheiten und Bedürfnissen angepasst werden. Im Falle des katholischen Weihnachtens in Pristina findet dies auf eine äusserst unkomplizierte und kollegiale Art statt – sei es aus spirituellen oder anderen Gründen. Hauptsache Weihnachtslichter, Glühwein und gute Gesellschaft.