Eidgenössische Wahlen vom 22. Oktober 2023

Die Verantwortung als erster Abgeordneter der Schweiz mit albanischer Herkunft ist er sich vollkommen bewusst

Islam Alijaj hat sich mittlerweile in der ganzen Schweiz einen Namen gemacht. Im Zuge der Wahlen am 22. Oktober und insbesondere nach seiner Wahl zum Abgeordneten im  Bundesparlament (Nationalrat) stand er im Fokus zahlreicher Nachrichten, Debatten und  Diskussionen in den führenden Medien der Schweiz. Dies ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen.  Zum einen stellt allein die Wahl eines Abgeordneten mit erheblichen Einschränkungen (mit Rollstuhl) eine Herausforderung für die öffentliche Meinung dar: Islam kämpft nicht nur mit körperlichen Einschränkungen, sondern hat auch Schwierigkeiten beim Sprechen. Ein weiterer Grund, der sein Auftreten in den Schlagzeilen verursachte, ist seine Herkunft: Alijaj ist der erste Abgeordnete der Schweiz mit albanischen und balkanischen Wurzeln. Selbst sein Name ‘Islam’ ist ein Novum, das die Medien, die sich mit seiner Wahl beschäftigen, nicht unberührt lässt.

Vor dem Hintergrund der vielfältigen Herausforderungen, denen sich der neue Nationalrat gegenübersieht, führte Albinfo.ch ein Interview mit Islam Alijaj.

albinfo.ch: Jetzt sind Sie als Nationalrat gewählt. Welche waren Ihre ersten Gedanken, nachdem Sie davon erfahren haben? Haben Sie sich in erster Linie über Ihre Wahl gefreut oder auch über die Verantwortung, die Ihnen nun als Nationalrat zukommt, nachgedacht?

I. Alijaj: Ich war überwältigt und sehr glücklich. Für mich ist es ja nicht nur diese Wahl, sondern ein langer Weg vom schwerbehinderten Jungen aus Kosova, der mit 16 noch eine Sonderschule besuchte, bis in den Nationalrat. Ich bin mir der Verantwortung bewusst und freue mich sehr auf die neue Herausforderung.

albinfo.ch: Sie haben immer wieder betont, dass Sie aufgrund Ihrer ursprünglichen Herkunft (kosovarisch), Ihres namens «Islam» und Ihrer Behinderung die «schlechtesten Chancen» hatten, in ein politisches Amt gewählt zu werden. Dennoch Sie wurden bereits zum Nationalrat gewählt. Was denken Sie hat am meisten dazu beigetragen, dass Sie als Abgeordneter gewählt wurden?

I. Alijaj: Die vielen Menschen die mich unterstützt haben. Meine Kandidatur wurde von vielen getragen, die daran geglaubt haben, dass einer wie ich tatsächlich gewählt werden kann. Hinzukommt, dass die Agentur Farner einen hochprofessionellen Wahlkampf entwickelt und wir diesen gemeinsam mit meinem fantastischen Team auch auf die Strasse gebracht haben.

albinfo.ch: Sie sind körperlich behindert und haben sich gerade als behinderter Mensch in die Politik begeben, um sich für die Belange von Menschen mit Behinderungen einzusetzen. Kann es manchmal frustrierend sein, für dieses Ideal zu kämpfen. Wie bewältigen Sie diese Herausforderungen?

I. Alijaj: Die Behinderung ist scheisse. Da mache ich niemandem etwas vor. Aber ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch sein Potential entfalten kann, auch wenn es noch so klein ist. Und meine Wahl kann vielen Menschen in einer ähnlichen Situation zeigen: Es ist möglich, gemeinsam können wir etwas an unserer Situation zum besseren verändern.

albinfo.ch: Nach Ihrer Wahl diskutieren die Medien aufgrund Ihrer eingeschränkten Fähigkeiten auch über die technischen Aspekte Ihrer künftigen Arbeit als Abgeordneter. Wie werden Sie dieses Problem lösen und sehen Sie die Bereitschaft des Parlaments, Ihnen dabei zu helfen?

 I. Alijaj: Ich stehe bereits mit den Parlamentsdiensten in Kontakt, die sich sehr darum bemühen, mögliche Barrieren zu beseitigen. Und ich bin davon überzeugt, dass wir für alle Herausforderungen auch gute Lösungen finden werden.

albinfo.ch: Die Bewegung zu der Inklusion hat Ihnen schweizweit bekannt gemacht. Kann man sagen das auch Ihnen zu Nationalrat gemacht? Oder: wem «schulden» Sie am meisten für diesen Erfolg. Ist das auch traditionelle Basis der Sozialdemokraten oder eher die obergenannte Bewegung, die Sie im Leben gerufen haben?

I. Alijaj: Es ist der Erfolg aller Menschen, die mich auf diesem Weg unterstützt haben. Viele Menschen – gerade auch mit Behinderungen – haben grosse Hoffnungen mit dieser Wahl verbunden. Und ich werde alles dafür tun, sie nicht zu enttäuschen.

albinfo.ch: Gibt es ein anderes Thema, ausser Inklusion und die Rechte der behinderten, die Ihnen, als Nationalrat beschäftigen wird?

I. Alijaj: Inklusion ist für mich kein Thema, sondern eine Perspektive. Inklusion betrifft unterschiedliche Politikfelder, vom Verkehr, über die Bildung bis hin zum Arbeitsmarkt. Insofern werde ich mich auf verschiedenen Themen bewegen.

albinfo.ch: Welche Rolle sehen Sie für sich als Nationalrat in Bezug auf die Förderung der Integration, Diversität und Chancengleichheit innerhalb der albanischsprachigen Gemeinschaft und in der Schweiz insgesamt?

I. Alijaj: Ich bin mir der Verantwortung bewusst, die ich als erster Nationalrat mit albanischen Wurzeln trage. Aufgrund meiner Behinderungen wurde ich in der Vergangenheit vor allem als Behindertenrechtsaktivist wahrgenommen, aber meine Herkunft wird in meiner politischen Arbeit in Zukunft sicher noch eine wichtigere Rolle einnehmen.

albinfo.ch: Könnten Sie Ihre politische Agenda hinsichtlich Bildung, Sozialpolitik und kultureller Vielfalt in der Schweiz näher erläutern?

I. Alijaj: In der Bildungspolitik müssen wir einige Baustellen angehen. Die Schulen sollten mehr Ressourcen bekommen und auch inklusivere Strukturen aufbauen können, so dass nicht mehr Kinder, die auffällig sind in Sonderklassen versorgt werden. Kinder mit Migrationshintergrund und auch mit Behinderungen werden häufiger in Sonderklassen eingestuft als andere Kinder. Auch bei der Sozialpolitik müssen wir dahin gehen, dass alle Menschen ihr Potential entfaltet können. Unser Sozialsystem widerspiegelt nicht mehr die heutige Arbeitsrealität. Vielen Menschen können sich keine Altersvorsorge mehr aufbauen. Gerade auch für Arbeiter*innen mit Migrationshintergrund ist das ein aktuelles Thema. Bei der kulturellen Vielfalt möchte ich vor allem bei der politischen Bildung ansetzten. Gerade unsere Leute müssen der Privilegien bewusstwerden, die sie mit einem Schweizer Pass haben. Hier möchte ich mich für mehr politische Teilhabe einsetzten.

albinfo.ch: Welche Botschaft möchten Sie an die jüngere Generation innerhalb der albanischsprachigen Gemeinschaft in der Schweiz senden, insbesondere an diejenigen, die sich für eine politische Laufbahn interessieren?

I. Alijaj: Bringt euch ein! Engagiert euch in den Parteien – am liebsten natürlich in der SP, die sehr viel für die albanische Community tut – und stellt euch zur Wahl.