Albanien jenseits des Meeres

Ein schweizer Archäologe mit der Mission, antike Albanien zu erforschen

In ein Interview für albinfo.ch, Dr. Zindel schildert unter anderem seine Erfahrungen mit archäologischen Ausgrabungen in Albanien

Der Schweizer Archäologe, Dr. Christian Zindel bereist Albanien regelmässig seit 1988. 1999 bis 2003 arbeitete er als Aussenstellenleiter der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia in Tirana, 2004 bis 2008 war er jeden Sommer in den albanischen Alpen mit GPS und Karte unterwegs und verfasste den Wanderführer “Nordalbanien, Thethi und Kelmend”.

«Wanderführer, Nordalbanien», in drei Sprachen

Albinfo.ch: Seit wann sind Sie in Kontakt mit Albanien und wie ist dazu gekommen?

Christian Zindel: Als Archäologe interessiere ich mich besonders für sogenannte Peripherkulturen (Etrusker, Sikuler, Skythen etc.), die zwar von den klassischen griechischen und römischen Hochkulturen beeinflusst wurden, aber stets einen markanten Eigenanteil im Stil und in den Aussagen ihrer künstlerischen Äusserungen beibehielten. Zu diesen Peripherkulturen werden auch die Illyrer gezählt, die seit Urzeiten im heutigen Albanien siedelten. Als 1988 erstmals im Ausland (in Hildesheim) eine archäologische Ausstellung zu den Illyrern realisiert wurde, besuchte ich im Herbst jenes Jahres erstmals das noch weitgehend abgeschottete Albanien, organisierte danach in Basel einen Volkshochschulkurs und eine Studienreise in dieses touristisch weitgehend unerschlossene Land. Seither habe ich mit kleineren und grösseren Abständen immer wieder Albanien bereist, von 1999 bis 2003 lebte ich in Tirana. Entscheidend für den weiteren intensiven Kontakt war ein Zufall, dass ich nämlich schon auf meiner ersten Reise einen Berufskollegen in Shkodra kennenlernte, mit dem ich bis heute freundschaftlich verbunden bin.

Stadtmauer von Antigoneia (Foto: Christian Zindel)

Welches waren Ihre wichtigsten archäologischen Tätigkeiten in Albanien?

In den ersten Jahren nach der Wende von 1991 herrschten Chaos, Armut und Not in Albanien, für archäologische Ausgrabungen war kein Geld vorhanden. Mein Freund Bashkim organisierte 1993 eine Notgrabung in Bushati (Shkodra) mit arbeitslosen Arbeitern, die von der Caritas bezahlt wurden. Er bat mich als Privatperson um Hilfe, weil er keine Geräte für die Vermessung und die fotografische Dokumentation zur Verfügung hatte. Dieser «inoffizielle» Einsatz förderte eine illyrische Befestigung des späten 3. Jahrhunderts v.Chr. zutage, die wohl als vorgeschobene Festung von Shkodra gedient hatte. Weil unsere Mittel sehr beschränkt waren und der Ort auch als Panzerübungsplatz benutzt wurde, konnten wir nur den Verlauf der Befestigungsmauer dokumentieren. Im letzten Jahr ist diese Ausgrabung von einem anderen Kollegen wieder aufgenommen worden.

Eine zweite Ausgrabung, ein offizielles Joint Venture zwischen der Universität Genf und dem Archäologischen Institut, begann 2007 in Orikos, im hintersten Teil der Bucht von Vlora. Dieser Militärhafen wurde von Iulius Caesar in seinem «Bürgerkrieg» detailliert beschrieben. Wir profitierten davon, dass der Militärsperrbezirk der benachbarten albanischen Marinebasis Pashaliman teilweise aufgehoben wurde. Wir legten mehrere Teile der antiken und byzantinischen Stadtmauer auf dem Siedlungshügel frei, und stellten fest, dass der halbrunde Bau an der Ostseite nicht wie bisher angenommen, als Theater, sondern als eine ausgeklügelte wassertechnische Anlage gedeutet werden muss. Die Ausgrabungen dauern an und sind für Touristen zugänglich. Wir hoffen, dass der jetzige Status als regionaler archäologischer Park erweitert und auch die Lagune mit ihrer einzigartigen Flora und Fauna zum geschützten Naturpark erklärt werden kann.

Lezha, Stadttor (Foto: Christian Zindel)

Weil ich inzwischen Albanien kreuz und quer mit dem besonderen Interesse für die antike Vergangenheit bereist hatte, reifte die Idee zum konkreten Projekt, einen touristischen Archäologieführer für ganz Albanien zu schreiben. Zusammen mit drei Kollegen publizierten wir Anfang 2018 im Böhlau Verlag (Wien) ein reich illustriertes Buch, das alle wichtigen Fundstätten beschreibt. Natürlich nehmen hier die touristischen Hotspots wie Butrint, Apollonia, Antigoneia, Durrës, Berat, die Region um den Ohrid-See oder die Via Egnatia einen besonders breiten Platz ein.

Sind Sie weiterhin in Albanien engagiert? In welchen Bereichen?

1999 haben wir den Verein ARSIMI gegründet, der albanischsprachige Bildungsinstitutionen unterstützt, und dies nicht nur in Albanien, sondern auch in Kosova, Mazedonien und der Schweiz. So haben wir z.B. in Nordalbanien für verschiedene Schulhäuser dringend notwendige Renovationen ermöglicht, und wir versorgen seit vielen Jahren die Kunstuniversität Tirana mit Fachbüchern, welche für die Bibliothek sonst unerschwinglich wären.

Vier Jahre von 1999 bis 2003 arbeitete ich als Aussenstellenleiter der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia in Tirana und unterstützte im Rahmen der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit ca. 250 albanische Kulturprojekte im ganzen Land. Ein beträchtlicher Teil dieser Projekte war auch für die Entwicklung des Tourismus in Albanien wichtig, beispielsweise das Theaterfestival im antiken Theater von Butrint, das erste internationale Jazzfestival in Tirana oder die in der Kunstszene stark beachteten internationalen Kunst-Biennalen in Tirana.

Baptiserium in Butrint (Foto: Ilir Gjipali)

Welche Tourismus- Projekte sind daraus entstanden?

Immer mehr bin ich der Überzeugung, dass vor allem eine «sanfte», nachhaltige Tourismus-Entwicklung – im Gegensatz zum Massentourismus an den Badestränden – gefördert werden muss. Dazu gehören Nischen wie der Wandertourismus oder eben der Kulturtourismus. Wünschbar sind auch Infrastrukturen für Canyoning, Paragliding, Climbing sowie verschiedene Wintersportarten (Skilaufen, Langlauf, Schneeschuh-Touren etc.), welche eine enorme In-Wert-Setzung besonders für das bergige Nordalbanien bedeuten würden. Um den Wandertourismus anzuschieben veröffentlichte ich 2008 zusammen mit Barbara Hausammann einen Wanderführer für Nordalbanien, der kurz darauf ins Englische und ins Albanische übersetzt wurde. Er beschreibt kleinere und grössere Wandertouren in den nordalbanischen Alpen, die wir alle selber abgelaufen sind. Das Hauptziel war, die Landflucht in diesen damals sehr abgelegenen Bergtälern im Norden zu stoppen und den Verbleib in dieser Gegend attraktiver zu machen. Der Erfolg war erstaunlich: Dank der finanziellen Unterstützung, mit der die Häuser «touristentauglich» gemacht wurden, und mit der systematischen Erfassung von privaten Übernachtungsmöglichkeiten gelang es, diese Bergdörfer zumindest im Sommer wieder zu bevölkern, die geschlossenen Schulhäuser wieder zu aktivieren und für die Rückkehrer ein beträchtliches Zusatzeinkommen zu generieren.

Den Kulturtourismus praktiziere ich selber seit 1987 als Organisator und Leiter von Gruppenreisen durch ganz Albanien, für spezielle Gruppen nehmen wir auch Bergwanderungen ins Programm auf. Ich führte zahlreiche Gruppen zu den kulturellen Sehenswürdigkeiten Albaniens, und immer wieder höre ich: «Das Land ist so wunderschön, ich komme bestimmt wieder!»

Orikos Wassersamelanlage (Foto: Barbara Hausammann)

Können Sie uns noch etwas mehr über den Inhalt Ihres neuen Archäologieführers sagen?

In dem 580 Seiten starken Buch beschreiben wir auf mehr als 450 Seiten rund 150 archäologische Fundstätten, Museen und andere Sehenswürdigkeiten, welche die ganze vor-staatliche Geschichte Albaniens (also von der Steinzeit bis 1912) betreffen. Das Ganze ist illustriert mit 104 Plänen und 100 farbigen Abbildungen. Ein kurzes Kapitel, das eher für Fachleute gedacht, aber allgemeinverständlich geschrieben ist, beschäftigt sich mit der archäologischen Forschungsgeschichte bis in die Gegenwart, und auf ca. 50 Seiten wird dann in einem Gesamtüberblick die Geschichte und die Kulturgeschichte auf dem Gebiet des heutigen Albanien behandelt. Im Glossar werden die Fachausdrücke kurz erklärt, und ein Verzeichnis mit weiterführender Literatur sowie ein Sach- und Personenregister schliessen den Band ab. Die vier Autoren Bashkim Lahi, Andreas Lippert, Machiel Kiel und ich kennen Albanien sehr gut, und alle sind von diesem Land fasziniert. Das Besondere am Konzept unseres Gemeinschaftswerkes besteht sicherlich darin, dass die osmanische Zeit, die häufig stiefmütterlich dargestellt wird, nahtlos und gleichberechtigt eingebunden ist.

Was wäre weiter zu tun auf dem Gebiet des Wander- und des Kulturtourismus?

Auf dem Gebiet des Wandertourismus ist weiterhin Barbara Hausammann aktiv, sie markierte Dutzende neuer Wanderwege und zeichnet sie mit GPS auf. Von offizieller Seite wird diese aufwendige Arbeit viel zu wenig geschätzt, alle Spesen werden von privaten Spendern getragen. Für den Tourismus sehr nützlich wäre auch eine Zusammenstellung der historischen Verkehrswege Albaniens, bis jetzt ist nur die Via Egnatia im Shkumbin-Tal erforscht und als Wanderweg erschlossen. Nur schon in Nordalbanien gibt es Dutzende von alten Verbindungswegen von Tal zu Tal, auf denen vor dem motorisierten Zeitalter der Bräutigam seine Braut besuchte. Die Kenntnis dieser alten Wege geht verloren, diejenigen, die diese Wege gegangen sind, sterben aus. Meines Wissens existiert noch kein albanischer Verein, der sich die Kartierung der historischen Verkehrswege zum Ziel gesetzt hätte.

Im Bereich Kultur müssten endlich einmal in den Museen alle Erklärungen zu den Exponaten mindestens auch auf Englisch übersetzt werden. Im Museum von Butrint ist dies schon geschehen, aber dort war letztes Jahr bei unserem Besuch mindestens die Hälfte der Vitrinenlampen kaputt, der Besucher musste sich die interessante Ausstellung im Halbdunkel anschauen. Auch die Erläuterungen an Ort und Stelle, z.B. an weniger bekannten Fundorten wie Kap Rodon oder Peqin, lassen zu wünschen übrig oder fehlen gänzlich. Mit anderen Worten: Ich wünsche mir Fortschritte in der didaktischen Aufbereitung, der Präsentation und der Wartung der reichen Kulturschätze Albaniens.

Archäologieführer: Albanien

In dem 580 Seiten starken Buch beschreiben wir auf mehr als 450 Seiten rund 150 archäologische Fundstätten, Museen und andere Sehenswürdigkeiten, welche die ganze vor-staatliche Geschichte Albaniens (also von der Steinzeit bis 1912) betreffen. Das Ganze ist illustriert mit 104 Plänen und 100 farbigen Abbildungen.

Ein Wanderführer mit Mission

Um den Wandertourismus anzuschieben veröffentlichte ich 2008 zusammen mit Barbara Hausammann einen Wanderführer für Nordalbanien, der kurz darauf ins Englische und ins Albanische übersetzt wurde. Er beschreibt kleinere und grössere Wandertouren in den nordalbanischen Alpen, die wir alle selber abgelaufen sind. Das Hauptziel war, die Landflucht in diesen damals sehr abgelegenen Bergtälern im Norden zu stoppen und den Verbleib in dieser Gegend attraktiver zu machen. Der Erfolg war erstaunlich.

 

 

 


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