Entwicklung

Entwicklungen in Kosova aus der Perspektive der Diaspora

Vjollca Hajdari, Hilmi Gashi, Osman Sadiku, Përparim Avdili und Egzon Zhuta, äussern sich über die neuesten Entwicklungen in Kosova

Die besorgniserregenden Entwicklungen in Kosova, die durch Gewalt gekennzeichnet waren, stellen ein hohes Risiko für die Demokratie und für die Existenz des neuen Staates dar. Die albanische Diaspora verfolgt diese Entwicklungen mit grosser Sorge.

Um sich ein Bild darüber zu machen, wie die aktuelle Lage in Kosova von der Diaspora wahrgenommen wird, hat albinfo.ch mehrere Politiker, Experten und Analysten aus der Diaspora in der Schweiz und in Deutschland um ihre Meinung gebeten.

Vjollca Hajdari ist Politologin und Publizistin, Zuständig für Balkan- und Süd-Ost-Europa-Fragen bei Global Coorporation Council in Berlin
Vjollca Hajdari ist Politologin und Publizistin, Zuständig für Balkan- und Süd-Ost-Europa-Fragen bei Global Coorporation Council in Berlin

Vjollca Hajdari: “Inszenierungen als Ablenkunsmanöver”

Die aktuelle Lage überrascht mich keinesfalls. Immer wenn Kosova vor substantiellen Entschedungen für ihre Zukunft stand, hat es ähnliche Entwicklungen gegeben, die das Ziel hatten, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von den wahren Problemen abzulenken, wie die Teilung von Mitrovica, die Gründung der serbischen Gemeinden, sowie das Schlucken der wichtigsten wirtschaftlichen Ressourcen des Landes, allen voran von Trepca.

Es sind drei Punkte, die Kosova schaden und die wirkliche Lage dort verschleiern. Erstens, die Verbreitung des islamistischen Gedankengutes und Einflusses im albanischen Sprachgebiet – die Albaner sollen als Fundamentalisten, Terroristen und Feinde des Westens dargestellt werden. Zweitens, die massive Flucht von Abanern und deren abwertende Bezeichnung als “Wirtschaftsflüchtlinge”. Und schliesslich die abscheuliche und tragi-kömische Inszenierung im kosovarischen Parlament, über die in unseren aber auch in internationalen Medien mit Ironie berichtet wird.

Diese künstliche Inszenierung hat das Ziel, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit vom wahren Problem des Landes abzulenken: Serbien treibt im Hintegrund die Teilung des Landes und die Konsolidierung des Bundes der Gemeinden mit serbischer Mehrheit voran.

Hilmi Gashi, Gewerkschaftsfunktionär, GP-Politiker, Thun
Hilmi Gashi, Gewerkschaftsfunktionär, GP-Politiker, Thun

Hilmi Gashi: “Eine Regierung, die die Werte der Nation mit Füssen tritt, hat keine Legitimität”

Die Entwicklung des politischen Diskurses und die Art und Weise, wie die aktuelle Regierung die definierten Entscheidungsprozesse ignoriert, sind für mich sehr besorgniserrend. Ich denke hier an die zwei letzten sehr umstrittenen Abkommen mit Serbien und Montenegro, die die Regierung ohne Absprache mit dem Parlament und ohne eine öffentliche Diskussion unterzeichnet hat.

Der Höhepunkt wurde mit der Instrumentalisierung der Polizei seitens der Regierung erreicht. Die Regierung ist nicht der Staat; sie wechselt, aber der Staat bleibt. Das gewaltsame Eindringen der Polizei ins Parlamentgebäude und der Ausschluss der Opposition von den Parlamentssitzungen, ist eine Instrumentalisierung der Polizei.

Man kann über die Methoden des Protestes und des Widerstandes der Opposition diskutieren. Das Ziel, die schädlichen Abkommen für das Land nicht durchgehen zu lassen, gibt der Opposition aber recht.

Die Szenen der Brutalität und der Misshandlungen seitens der Polizei haben mich sehr betroffen gemacht, besonders wenn es um Gani Krasniqi und Sami Kurteshi geht. Eine Regierung und eine Polizei, die diese Werte mit Füssen tritt, hat keine Legitimität mehr. Ich möchte Kosova als ein demokratisches Land sehen, und nicht als einen Staat nach dem Model von Putin und Erdogan”

Osman Sadiku, SP-Politiker, Migrationsexperte, Glarus
Osman Sadiku, SP-Politiker, Migrationsexperte, Glarus

Osman Sadiku: “Die Verhaftung von Albin Kurti ist nicht politisch”

Die aktuelle Situation in Kosova ist sehr komplex. Wer eine einfache Lösung verspricht, irrt sich schwer. In Kosova geht es nicht nur um die Interessen der Albaner. Vielmehr treffen dort die Interessen der Freunde und Feinde des Kosova (und der Albaner) aufeinander.

In der Macht sind die beiden sich ehemals sehr feindlich gegenüberstehenden Parteien PDK und LDK. Doch die Opposition ist nicht viel besser. Die Bewegung Vetëvendosje!, die voller Patriotismus ist, erkennt auf gewisser Art und Weise den Staat Kosova nicht an. Vetëvendosje! hat eine Partnerschaft mit zwei weiteren Oppositionellen Parteien geschlossen, die – als sie noch in der Regierung sassen – nichts Gutes übrig gelassen haben.

Das Schlimmste ist aber, dass Vetëvendosje! Gewalt anwendet. Und die Gewalt ist absolut keine Lösung, es bringt nur Verlierer hervor. Ich bin gegen Gewalt und gegen politische Inhaftierungen. Doch die Inhaftierung von Albin Kurti und dessen Anhänger ist meiner Meinung nach kein politischer Akt. Sie wurden nicht wegen ihrer Meinung verhaftet, sondern weil sie Gewalt angewendet haben. Auch in der Schweiz wird jeder verhaftet und verurteilt, der Gewalt gegen Personen oder Insitutionen anwendet.”

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Përparim Avdili, FDP-Politiker, Zürich

Përparimi  Avdili: “In der kosovarischen Politik fehlt es an Objekivität”

Die Situation in Kosova ist sehr besorgniserregend, weil unser Land es nicht schafft, sich politisch zu beruhigen, damit eine positive Entwicklung in Gang kommt. Mich bedrückt die Tatsache, dass es der kosovarischen Politik an Objektivität bei der Problemlösung fehlt. Die Debatten drehen sich um Personen und keinesfalls um die konkreten Probleme und Themen. Und hierfür sind alle verantwortlich, denn die Politik braucht den Konsensus.

Vielleicht fehlt es Kosova, das was die Schweiz als Staat und Gesellschaft so erfolgreich macht: die unmittelbare Intervention des Volkes. Und zwar nicht um die Regierung zu bestrafen, sondern sie dahin zu führen, wofür sie gewählt worden ist. Mein Eindruck ist allerdings, dass die von beiden Seiten geschaffene und gelebte Mentalität, eine solche Intervention nicht zulassen wird.

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Egzon Zhuta, FDP-Politiker, St.Gallen


Egzon Zhuta: “Die Art und Weise des Protestes der Opposition ist nicht gut zu heissen” 

Das Parlament hat die Glaubwürdigkeit verloren, es hat nicht mehr die Ernsthaftigkeit, die es haben müsste, damit es Gesetze verabschiedet, um das Land voranzubringen.

Ich sehe nur Personen, die in diesem Parlament eine grössere Rolle für sich beanspruchen. Das Parlament ist nicht in der Lage, die Differenzen zu lösen und zwar durch Gespräche und Diskussionen. Was wir sehen, sind Szenen der Gewalt.

Die Art und Weise, wir die Oppostion agiert, ist nicht gut zu heissen, nicht rechtens; es sind illegale Handlungen. Um es klar zu sagen, die Opposition arbeitet für die Interessen des Volkes, doch wie sie handelt, ist nicht zu akzeptieren und tut der albanischen Sache nicht gut.”