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Lebenserfahrungen als Antrieb: Wie ein Anwalt sich für Recht und Bildung stark macht

Anol Eshrefi: "Meine Leidenschaft für das Recht und meine eigenen Lebenserfahrungen haben mich dazu inspiriert, mich für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten einzusetzen"

Empowerment durch Bildung: Ein Anwalt, (Anol Eshrefi)  der als Kind einer Flüchtlingsfamilie in die Schweiz kam, setzt nun seine Leidenschaft für Menschenrechte und Bildung ein, um als selbständiger Rechtsanwalt die Rechte von Flüchtlingen und Migranten zu schützen und für ihre Würde zu kämpfen.

albinfo.ch: Wie haben Sie Ihre Leidenschaft für das Rechtsstudium entwickelt und welche Meilensteine haben Sie auf dem Weg zur Verwirklichung Ihrer beruflichen Ziele erreicht?

Anol Eshrefi: Als wir in die Schweiz kamen, wurden wir oft so behandelt, als ob wir die grundlegendsten Gesetze nicht kennen würden. Das fand ich immer überheblich, denn wir kamen nicht aus einem Land, in dem Stammesrechte herrschten. Ausserdem wurden meinen Eltern viele Rechte von der Gemeinde vorenthalten, und sie mussten sich immer gegen deren Entscheidungen wehren. Als Migrantenkind musste ich oft Dokumente für meine Eltern übersetzen. Zudem wurden die Albaner im Kosovo, meiner ursprünglichen Heimat, unterdrückt. So entwickelte ich schon früh ein starkes Rechtsempfinden und interessierte mich für die Rechte meiner Familie und meiner Ethnie.

Der grösste Meilenstein für mich war die Aufnahme an der Uni Zürich und die Einbürgerung in der Schweiz. Mit diesen beiden Voraussetzungen konnte mich nichts mehr daran hindern, meine Träume zu verwirklichen.

albinfo.ch: In einem Post in den sozialen Medien beschreiben Sie Ihre Einwanderungsgeschichte aus dem Blickwinkel Ihrer Kindheit. Wie haben Sie es geschafft, trotz der Herausforderungen des Asylverfahrens in der Schweiz Ihre Erinnerungen während Ihrer Zeit in den Flüchtlingslagern als eine Art Urlaub zu betrachten?

Anol Eshrefi: Unsere Eltern erklärten uns von Anfang an, dass unser Aufenthalt in der Schweiz vorübergehend sei. Wir dachten, wir würden nach ein paar Wochen wieder nach Hause zurückkehren. Meine Eltern bemühten sich immer, mir und meiner kleinen Schwester die Flucht als eine Art Urlaub zu erklären. Immer wenn wir uns Sorgen machten und fragten, wie lange wir hier noch bleiben müssten, fanden sie ermutigende und hoffnungsvolle Worte, damit wir uns keine Sorgen machen würden. Ausserdem waren wir aus einem Land geflohen, in dem Apartheid und die Unterdrückung der Kosovo-Albaner herrschten, und wir fühlten uns in der Schweiz sicher. Das war eine Erleichterung, wenn man bedenkt, dass wir zuvor in unserer Wohnung ausharren mussten und immer Angst hatten, dass Polizisten uns jederzeit aufsuchen und unsere Eltern mitnehmen könnten, da sie politisch aktiv waren.

Mein Vater arbeitete als Kameramann für das staatliche Fernsehen und meine Mutter hatte grad ihr Wirtschaftsstudium abgeschlossen. Aufgrund der Unterdrückung mussten sie jedoch ihren hart erarbeiteten Lebensstandard aufgeben und in ein fremdes Land fliehen, wo sie aufgrund ihres langwierigen Asylstatus nicht im vorherigen Beruf arbeiten durften. Sie hatten keine Perspektive, ihre Karriere fortzusetzen oder eine neue zu beginnen. Deshalb war es ihnen sehr wichtig, dass wir Kinder die Möglichkeit erhielten, eine gute Ausbildung zu absolvieren. Sie haben alles getan, um sicherzustellen, dass wir eine solide Bildung erhalten, sei es finanziell oder indem sie nach Möglichkeiten recherchierten, wie wir uns in der Schweiz weiterbilden konnten. Bei uns wurde Bildung grossgeschrieben. Zudem haben meine Eltern schnell die Landessprache gelernt und sich für das Leben in der Schweiz interessiert.

Dadurch konnten sie uns über Bildungswege in der Schweiz informieren. Zum Beispiel fanden meine Eltern heraus, dass es eine Möglichkeit gab, sich günstig per Fernunterricht auf die Maturitätsprüfung vorzubereiten, was ich dann auch tat.

Wie setzen Sie Ihre persönlichen Erfahrungen und Ihre Leidenschaft für Menschenrechte ein, um das Asylrecht zu verbessern und anderen Flüchtlingen zu helfen, ihre Würde und Rechte anzuerkennen?

Anol Eshrefi: Bevor ich als selbstständiger Anwalt tätig war, arbeitete ich als Rechtsvertreter für Asylsuchende im Asylzentrum Ostschweiz. Ich war für eine renommierte NGO tätig, die vom Staatssekretariat für Migration beauftragt wurde, Juristen zur Verfügung zu stellen, die die Flüchtlinge in ihren Verfahren vor derselben Behörde verteidigen sollten, die sie finanzierte. Es ist offensichtlich, dass man in einer solchen Situation nicht völlig unabhängig als Rechtsvertreter arbeiten kann, wenn die Gegenseite gleichzeitig der Auftraggeber ist. Ich merkte, dass ich mich nicht richtig für die Flüchtlinge einsetzen konnte. Einerseits musste ich mich immer zuerst mit meinen Vorgesetzten absprechen, ob es aussichtslos war, eine Beschwerde einzureichen. Andererseits stand ich unter grossem Zeitdruck, da die Fristen sehr knapp bemessen waren und wir viele Flüchtlinge gleichzeitig verteidigen mussten. Unter diesem enormen Zeitdruck konnte ich den individuellen Bedürfnissen meiner Mandanten nicht gerecht werden. Es war wie eine Art Massenabfertigung. Ich konnte nicht mehr auf diese Weise arbeiten, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, dass ich nicht genug für meine Klienten getan hatte. Daher wuchs in mir der Wunsch, als selbstständiger Anwalt zu arbeiten. Ich verliess diese Position und bereitete mich auf die Anwaltsprüfung vor, die ich schliesslich bestand.

Ich folgte meiner Leidenschaft und eröffnete Anfang dieses Jahres meine eigene Kanzlei. Es war die beste Entscheidung meines Lebens. Als selbstständiger Anwalt kann ich meine Zeit selbst einteilen und muss nicht unter grossem Zeitdruck arbeiten. Bis jetzt habe ich hauptsächlich Fälle aus der albanischen Community bearbeitet. Ich arbeite jedoch auch weiterhin im Asylrecht. So konnte ich erfolgreich gegen negative Entscheidungen vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgehen und den Flüchtlingen zu Asyl in der Schweiz verhelfen. Als selbstständiger Anwalt kann ich mich bestmöglich für meine Klienten einsetzen, und meine positiven Beschwerden tragen zu einer positiven Rechtspraxis bei, die für ähnliche zukünftige Fälle relevant ist.

albinfo.ch: Wie haben Sie Ihre persönliche Stärke genutzt, um sich von negativen Vorurteilen nicht entmutigen zu lassen und Ihren eigenen Wert als Individuum zu erkennen?

Anol Eshrefi: Es war mein grosser Wunsch zu studieren. Ich wollte mir beweisen, dass ich das Potenzial habe, ein Akademiker zu werden. Bildung war die einzige Chance gesellschaftlich aufzusteigen. Zudem lerne ich sehr gerne und habe einen grossen Wissensdurst. Ich kann stundenlang lernen und mich intensiv mit den jeweiligen Themen auseinandersetzen. Mein eiserner Wille und meine Liebe zum Studium waren sicherlich die stärksten Faktoren, die mich trotz negativer Vorurteile und Herausforderungen motivierten, meinen eigenen Wert als Individuum zu erkennen.

albinfo.ch: Welche inspirierenden Geschichten von Flüchtlingen haben Sie während Ihrer Arbeit als Rechtsvertreter kennengelernt und wie haben diese Ihre Überzeugung gestärkt, dass jeder Mensch eine Würde besitzt, für die es sich zu kämpfen lohnt?

Anol Eshrefi: Wenn Flüchtlinge in ein neues Land kommen und nicht als solche anerkannt werden, verfügen sie über grundlegende Rechte wie die Möglichkeit zu arbeiten oder eine Ausbildung zu absolvieren nicht. Sie werden einfach geduldet, ohne das Recht, eine Zukunft aufzubauen. Umso mehr freut es mich, wenn ich jemandem helfen kann, schnell eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten. Ich hatte einen Klienten, der in Syrien ein Medizinstudium absolvierte. Es war mir wichtig, dass er das Recht auf Bildung in der Schweiz erhält und sein Talent für das Land einsetzen kann, indem er eines Tages als Arzt hier arbeitet. Sein Asylantrag wurde jedoch abgelehnt, und mit diesem Status durfte er in der Schweiz nicht studieren. Meine Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht war erfolgreich, und er erhielt Asyl und somit eine Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz

Nun studiert er Medizin in Zürich. Diese Geschichte zeigt mir, dass es sich lohnt, für das Recht auf Bildung von Flüchtlingen zu kämpfen. Jeder Mensch verdient Würde und die Möglichkeit, seine Fähigkeiten und Talente einzusetzen, um einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.

Meine Leidenschaft für das Recht und meine eigenen Lebenserfahrungen haben mich dazu inspiriert, mich für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten einzusetzen. Als Anwalt ist es meine Mission, ihre Würde zu schützen und für Gerechtigkeit einzutreten. Ich bin dankbar für die Unterstützung meiner Familie, die mir Bildung und Möglichkeiten zur Einbürgerung ermöglicht hat. Durch meine Arbeit möchte ich anderen Flüchtlingen helfen, ähnliche Chancen zu bekommen und ihre Rechte anerkennen zu lassen.

Es gibt noch viel zu tun, um Mitmenschen mit Migrations- oder Fluchthintergrund zu unterstützen. Aber ich bin zuversichtlich, dass durch unsere gemeinsamen Anstrengungen positive Veränderungen möglich sind. Jeder Mensch verdient Respekt, Gleichberechtigung und die Chance, sein volles Potenzial zu entfalten.

(Driter Gjukaj)