Coronavirus: Minute für Minute

Stärkster Rückgang des BIP seit Jahrzehnten erwartet

Die Expertengruppe hat ihre Konjunkturprognose ausserplanmässig aktualisiert. Sie erwartet für 2020 im Zuge der Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus einen sehr starken Rückgang des BIP. Auch 2021 dürfte sich die Wirtschaft nur langsam erholen.

Die Expertengruppe Konjunkturprognosen rechnet für 2020 mit einem Rückgang des Sporteventbereinigten BIP von −6,7 % (Prognose von März 2020: −1,5 %) bei einer jahresdurchschnittlichen Arbeitslosenquote von 3,9 %. Dies wäre der stärkste Einbruch der Wirtschaftsaktivität seit 1975.

Angesichts der steigenden Anzahl Covid-19-Erkrankungen in der Schweiz wurden Mitte März einschneidende gesundheitspolitische Eindämmungsmassnahmen nötig. Zahlreiche Betriebe mussten ihre Geschäftsaktivitäten einschränken oder unterbrechen, etwa im Gastgewerbe, im Detailhandel sowie im Kultur- und Freizeitbereich. Dies hat zu einem abrupten Rückgang der Produktion und der privaten Konsumausgaben geführt. Gleichzeitig hat sich das internationale Umfeld rapide verschlechtert. Internationale Lieferketten sind teilweise
gestört. Für die erste Jahreshälfte 2020 ist mit einem sehr starken Rückgang des BIP zu rechnen.

Im Zuge der geplanten Lockerungen der gesundheitspolitischen Massnahmen sollte eine moderate Erholung einsetzen. Erlittene Einkommensverluste aufgrund gestiegener Kurzarbeits- und Arbeitslosenzahlen sowie die grosse wirtschaftliche Unsicherheit begrenzen aber die Aufholeffekte beim privaten Konsum in der zweiten Jahreshälfte. Vorsichtsmassnahmen seitens der Behörden, der Unternehmen und der Privatpersonen, um Ansteckungen mit dem Coronavirus zu vermeiden, dürften die Konsumneigung zusätzlich dämpfen. In der Summe könnte der private Konsum 2020 stärker zurückgehen als das BIP.

Die Expertengruppe geht zudem davon aus, dass sich die Weltwirtschaft in den kommenden Quartalen ebenfalls nur schleppend erholt; wichtige Handelspartner, insbesondere die grossen südeuropäischen Länder, dürften verstärkt mit anhaltenden Folgen der Corona-Krise zu kämpfen haben. Darunter leiden insbesondere die konjunktursensitiven Bereiche des Schweizer Aussenhandels. Insgesamt dürften die Produktionskapazitäten in der Schweiz deutlich unterausgelastet und die Unsicherheit ausserordentlich gross sein, was mit einem sehr starken Rückgang der Investitionen sowie einem Beschäftigungsabbau einhergeht.

Unter der Voraussetzung, dass die gesundheitspolitischen Massnahmen weiter gelockert werden können, dass weitere starke Pandemiewellen mit vergleichbar einschränkenden Massnahmen ausbleiben, und dass die wirtschaftlichen Zweitrundeneffekte in Form von Entlassungen, Kreditausfällen und Firmenkonkursen begrenzt bleiben, dürfte sich die langsame Wiederbelebung der Schweizer Wirtschaft 2021 fortsetzen. Unterbrochene produktive Tätigkeiten und Lieferketten dürften allmählich wieder aufgenommen werden; die Exportwirtschaft profitiert von einer langsamen Normalisierung der Auslandnachfrage. Auch im Inland sollten sich Konsum- und Investitionsausgaben schrittweise erholen.

Die Expertengruppe erwartet, dass das BIP der Schweiz 2021 um 5,2 % steigt (Prognose von März: 3,3 %). Dies entspricht einem relativ langsamen Anstieg, ausgehend von einem sehr tiefen Niveau; der Stand des BIP von Ende 2019 wird innerhalb des Prognosehorizonts daher noch nicht erreicht. Auch am Arbeitsmarkt würde sich die Lage nur zögerlich verbessern: Die Arbeitslosigkeit sollte 2021 weiter auf 4,1 % ansteigen, die Beschäftigung nur geringfügig wachsen.

Konjunkturrisiken
Für März und April stehen bislang noch wenig « harte » Daten zur Verfügung, sodass es schwer bleibt, den Rückgang der Wirtschaftsaktivität genau zu quantifizieren. Auch für den weiteren Verlauf ist die Prognoseunsicherheit ausserordentlich gross.

Einerseits könnte sich die Wirtschaft schneller erholen als in der Prognose unterstellt; dies etwa, falls sich die Konsumentinnen und Konsumenten im Inland weniger durch das Coronavirus verunsichern lassen oder die Aufholbewegung im Ausland kräftiger ausfällt als erwartet. Andererseits könnten die Pandemie und damit verbundene Eindämmungsmassnahmen aber auch länger andauern als angenommen, was die Erholung stark bremsen würde. Zudem könnten stärkere Zweitrundeneffekte eintreten, etwa regelrechte Entlassungs- und Konkurswellen. Davon wären weitere massive wirtschaftliche Auswirkungen über den gesamten Prognosehorizont zu erwarten.

Die Covid-19-Pandemie verstärkt auch bereits bestehende Konjunkturrisiken. Insbesondere erhöht sich die Verschuldung von Staaten weltweit angesichts der nötigen Stabilisierungs- und Überbrückungsmassnahmen rapide. Auch bei den Unternehmen steigt der Verschuldungsgrad stark. Angesichts der bereits hohen Verschuldung zahlreicher Staaten und der schlechten Konjunkturaussichten steigt daher das Risiko von Kreditausfällen sowie von Insolvenzen von Unternehmen. Dies könnte die Stabilität des Finanzsystems bedrohen. Auch das Risiko von Finanzmarktturbulenzen und eines weiteren Aufwertungsdrucks auf den Franken ist erheblich erhöht. Im Inland steigt schliesslich das Risiko von Korrekturen im Immobiliensektor.