CH-Balkan

Wie man Schweizer Touristen nach Kosovo bringt

Eine kleine Umfrage am Flughafen Zürich hat gezeigt: Für Schweizer ist Kosovo noch keine Feriendestination. Doch es gibt Potenzial, dies zu ändern. Die Diaspora könnte der Schlüssel dazu sein.

„Kosovo wird unterbewertet.“ Das sagt ein junges Paar, das ich zur Feriendestination Kosovo befragt habe. Sie waren die einzigen Befragten, die je in Kosovo waren. Ihnen gefielen die Gastfreundschaft und die Natur. „Und das Essen!“, sagt der Mann begeistert. „Eigentlich sollten wir für ein Partywochenende nach Pristina fahren!“ „Wieso nicht!“, findet das andere befreundete Paar, das nebenan steht.

Und genau hier liegt eines der Potenziale, wie man Schweizer Reisende nach Kosovo locken könnte, gerade jüngere. Danach gefragt, sagt ein anderer junger Befragter: „Wenn ich das Wort ‚Party’ höre, bin ich immer dabei.“

Das bestätigt auch meine Beobachtungen, die ich auf den vielen Flügen von Zürich oder Basel nach Pristina gemacht habe – seit sechs Jahren besuche ich Kosovo regelmässig. Junge Leute, die Familie in Kosovo haben, nehmen ihre Freunde aus der Schweiz mit, um feiern zu gehen. Auf dem Flug besprechen sie das Partyprogramm fürs Wochenende, wo es die beste Electro-Musik gibt, wo den günstigsten Gin Tonic – wow echt? So billig? – und dass man am Tag danach zum Frühstück den besten Kaffee der Welt trinken kann.

Der Balkan und Kosovo werden trendy

Wird Kosovo also bald die neue Trenddestination? „Belgrad wird gerade trendy“, sagt ein Mitarbeiter eines grossen Schweizer Reisebüros mit Vertretung am Flughafen Zürich. Eine andere Mitarbeiterin kann sich vorstellen, dass Reisen in die Balkanregion insgesamt bald zum Trend werden könnten.

Ich wage sogar zu behaupten, dass der Trend bereits eingesetzt hat. Zumindest in meinem „Schweizer“ Umfeld interessieren sich junge Leute zunehmend für Reisen in den Balkan. Und geht es nach dem Lonely Planet, hat der Trend bereits eingesetzt. Das Reiseportal führt Kosovo und auch Albanien als „essential destinations in Europe this year“ auf – in den Top 10, wohlgemerkt.

Spiegelt sich das auch an dem Ort, an dem sich viele Schweizerinnen und Schweizer Jahr für Jahr für ihren Urlaub inspirieren lassen? Ich habe mich an der diesjährigen „Fespo“ umgeschaut. Mit rund 60’000 Besuchenden ist sie eine der grössten und wichtigsten Ferienmessen der Schweiz. Von Kosovo an der Fespo jedoch keine Spur. Auch nicht von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien oder Serbien. Lediglich Kroatien und Albanien waren mit einem Stand vertreten.

Das Wandern ist des Schweizers Lust – auch auf dem Balkan

Ein Gespräch mit einer Vertreterin des Reiseveranstalters „Albanien Reisen“ stimmte mich jedoch umso zuversichtlicher. „Albanien Reisen“ wurde von Angehörigen der albanischen Diaspora in der Schweiz gegründet. Bereits habe man erste Touristengruppen aus der Schweiz auf Wandertouren und historische Stadtbesichtigungen durch Albanien geführt. „Die Leute waren begeistert und beeindruckt“, sagt die Reiseveranstalterin.

Die Reisebroschüren machen optisch und inhaltlich einen professionellen Eindruck. Sie befriedigen alle Informationsbedürfnisse des Schweizer Reisenden: Reisedaten, zusammengefasstes Reiseprogramm, detaillierter Reiseplan, inbegriffene Leistungen, Bilder bereits durchgeführter Reisen, Preise.

„Albanien Reisen“ wirbt für Albanien als eine unberührte, spezielle Destination. Das Reisebüro tut dies aber auf eine Art, welche das Land doch zugänglich und „gewöhnlich“ genug erscheinen lässt, damit Herr und Frau Schweizer sich damit nicht überfordert fühlen.

Denn wir Schweizer sind manchmal etwas scheu, wenn es darum geht, Neues auszuprobieren. Wir brauchen diesen ersten „Schupf“, einen Anstoss. Wieso also nicht mal Wandern in Nordalbanien oder Kosovo anstatt im Berner Oberland?

Die Diaspora als Schlüssel

Doch dafür müssten mehr Schweizer erst einmal mehr über die Region erfahren. Denn wie die kleine Umfrage gezeigt hat (siehe auch Teil 1 von „Kosovo als Reisedestination“), haben die Befragten einfach noch nie daran gedacht, nach Kosovo zu fahren und wussten nicht so recht, wie sie sich das Land vorstellen sollten. Viele gaben aber durchaus positive Vorstellungen zu Protokoll: schöne Natur, Berge, viel Grün, nette Leute. Grosses Potenzial also, Touristen für Kosovo zu gewinnen, zumal die Schweizer oft auch über die nötigen finanziellen Ressourcen verfügen, um in den Urlaub zu fahren.

Und gerade in der Schweiz gibt es einen wichtigen Faktor, potenziellen Touristen Kosovo als Reiseland näher zu bringen: Die riesige kosovarische Diaspora, die in der Schweiz ungefähr 170’00 Mitglieder zählt. 170’000 potenzielle Reisepartner, mit denen Schweizer nach Kosovo fahren könnten, anstatt einen Flug nach Paris oder Rom zu buchen.

Ein Taxifahrer bestätigt mir auf der Fahrt vom Flughafen in Pristina in die Stadt, dass die meisten Reisenden aus der Schweiz tatsächlich zusammen mit ihren kosovarischen Freunden hierher kämen. „Allein reisende“ Schweizer treffe er nur wenige an.

Exkurs: Schweizer als Exoten

Die Idee nach Kosovo zu reisen, obwohl man dort keine Verwandte hat, ist aber nicht nur für Schweizerinnen und Schweizer ungewohnt, sondern auch für die Diaspora selbst. Das habe ich als Schweizerin ohne Familie in Kosovo auf den vielen Flügen nach Pristina oft erlebt. Hier ein Beispiel, wie sich viele Dialoge mit meinen Sitznachbarn anhörten:

Sitznachbar: „Woher ist Ihre Familie ‚dunnä’?“

Ich: „Ich habe keine Familie in Kosovo.“

Sitznachbar: „Ah, dann sind Sie verheiratet ‚dunnä’?“

Ich: „Nein“

Sitznachbar: „Aha“

Kurze Pause

Sitznachbar: „Wieso fliegen Sie denn mit uns ‚abä’?

Ich: „Ich mache Urlaub und besuche Freunde.“

Sitznachbar: „Einfach so?“

Ich: „Ja, einfach so.“

Sitznachbar: „Aha.“

Kurze Pause.

Sitznachbar: „Wirklich? Aber wieso?“

Vielleicht liegt es ja genau daran, dass ich jeweils die Einzige ohne Familie war. „Abä“ (runter) und „dunnä“ (unten) die die Diaspora gerne als Bezeichnung für ihr Heimatland benutzen ist für Schweizer nicht sehr aufschlussreich. Vielleicht auch, weil es doch das eine oder andere Unschöne in Kosovo gibt, dass dem Durchschnittstouristen nicht gefallen könnte – Kriegsspuren, Armut, defizitäre Infrastruktur.

Keine Angst vor der Realität

Ich finde nicht, dass Kosovo nur Feriendestination sein kann, wenn man es als perfekt und wunderschön verkauft. Ich mag Pristina, weil es nicht Wien oder Paris ist. Weil es kein Disneyland für Touristen ist. Pristina ist, wie es ist. Das macht den Charme der Stadt aus.

Und ja, Kosovo ist voller Herausforderungen. Ich habe viele davon angetroffen, als ich das Land bereist habe, auch, als ich mehrere Monate dort gelebt habe, auf dem Land, in der Stadt, im Sommer und im Winter. Aber aus all diesen Herausforderungen habe ich viel lernen können.

Wenn ich über die Visumdebatte oder andere Themen, die Kosovo betreffen, in der Zeitung lese, bin ich dankbar um all die Geschichten und Gedanken, die Leute aus Kosovo mit mir geteilt haben. Zusammen mit meinen eigenen Erfahrungen vervollständigen sie das Bild über das junge Balkanland, die Region, über die Migrations- und Entwicklungspolitik der Schweiz und der EU, über die Wiederaufbauprogramme grosser internationaler Organisationen, über den Umgang einer Gesellschaft mit der Vergangenheit, mit Multiethnizität, mit Minderheiten. Die Erkenntnisse sind nicht immer schön. Aber das ist die Realität.

Die schöne Seite der Medaille

Glücklicherweise gibt es ebenso schöne Seiten, die zur Realität Kosovos zählen: imposante Berglandschaften, Wasserfälle, spannende Architektur, Filmfestivals und andere kulturelle Anlässe rund ums Jahr, grossartige lokale Küche, guter Kaffee, Gastfreundschaft und viel Herzlichkeit.

Alles Dinge, die Schweizer mögen und alles gute Gründe, um Kosovo zu besuchen, auch wenn man keine Verwandten dort hat. Aber vielleicht sind es diejenigen, die dort Verwandte haben, die mithelfen können, Kosovo als Feriendestination bekannter zu machen. Sie können das Bindeglied sein, die Vermittler, diejenigen, die Angebote schaffen aber auch die Nachfrage ankurbeln, diejenigen, die Neugierde wecken.

Und das Gute daran: Nicht nur die Reisenden würden profitieren, sondern auch lokale Geschäft, Restaurants, Hotels, Reiseführer oder Taxifahrer.

Ich jedenfalls glaube, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Reisende und auch Reisebüros das Potenzial des Balkans und auch Kosovos als Reisdestination erkennen und auch ausschöpfen werden. Einige Reiseanbieter gehen bereits mit gutem Beispiel voran. Air Prishtina organisiert ab Herbst 2018 geführte Reisen in die kosovarische Hauptstadt. Und auch Edelweiss wirbt für Reisen nach Kosovo, inklusive Spaziergänge durch Pristina, Kletterausflüge in die Natur und Mehrtagestouren durchs ganze Land. Also los, hajde!

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