Die Albaner der Schweiz und der Islam

Die Werte des Islams stehen nicht im Widerspruch zum europäischen Laizismus

Im Interview für Albinfo.ch spricht der Präsident der UISHZ (Vereinigung der albanischen Imame der Schweiz), Imam Nehat Ismaili, über Themen, die seine Gläubigen beschäftigen, die hiesige öffentliche Meinung, über die von ihm geleitete Vereinigung, und darüber, wie sich der Radikalismus des Islams im Image der Albaner in der Schweiz reflektiert, u.a.

albinfo.ch: Die albanischen Imame sind in verschiedenen Vereinen organisiert. Weshalb, und müsste es eine einheitliche Vereinigung geben?

Imam N. Ismaili: Es gibt nicht viele Vereine, es sind nur zwei Körperschaften, denen die Imame angehören, und diese sind zwischen sich nicht verfeindet, sondern es war ganz einfach eine Teilung administrativer Natur bei der Organisation der entsprechenden Kollektivform gemäss Gesetzen und Verfassung der Schweiz, und wir arbeiten auf eine gemeinsame repräsentative Körperschaft hin.

albinfo.ch: In den schweizerischen Medien wird von radikalen Predigten in Moscheen berichtet. Haben Sie Informationen und haben Sie eine Strategie, um den Radikalismus einzuschränken?

Imam N. Ismaili: Ja, wir hörten von den Medien, und auch in den Wandelhallen der muslimischen Theologen wird darüber gesprochen, dass es Fälle von Predigten in schärferer und aggressiverer Sprache als bis jetzt üblich gibt. Ich denke, es geht um isolierte Fälle und die Linie, die die UISZH verfolgt, besteht in mehr Bildung der Imame, darin, dass das Masterstudium auch komparative Religionswissenschaft, interreligiösen Dialog, das Studium der Humanwissenschaften, Kenntnisse der kulturellen, religiösen und ethnischen Vielfalt, Kenntnisse der europäischen Geschichte und Kultur allgemein umfassen soll, um die Botschaften des Islams dank logischer und wissenschaftlicher Argumente und in Übereinstimmung mit den realen Anliegen der Gesellschaft leichter überbringen zu können. Meines Wissens kamen bis vor ein paar Jahren alle Imame, die in die Schweiz kamen, aus dem Herkunftsland, für einen oder drei Monate oder für ein Jahr. Zuerst wurde für sie jeweils ein Dekret von den Islamischen Gemeinschaften des Herkunftslands verfügt, was mit der Visaliberalisierung nicht mehr zu funktionieren scheint, und deshalb ist es unmöglich, zu kontrollieren, wer kommt und was gepredigt wird. Würde dieses Gesetz in Kraft gesetzt, wä- re das zum Vorteil der Moscheen, der albanischen Glaubensgemeinden, der Islamischen Gemeinschaft des Herkunftslandes wie auch für die Sicherheit des Schweizer Staates. Die UISHZ organisierte in den letzten Jahren mehrere Seminare für die albanischen Imame in der Schweiz, mit hervorragenden Professoren aus den erwähnten Gebieten. Sie gibt Broschüren heraus, es werden Diskussionen organisiert und in letzter Zeit unternahmen wir Schritte zur Vereinheitlichung des Lehrprogramms für alle Religionsschulen, die im Rahmen der albanischen Moscheen in der Schweiz funktionieren, und jüngst geht es um die Ausarbeitung eines vereinheitlichten Reglements für alle albanischen islamischen Zentren etc.

Die albanischen Imame werden übergangen, weil sie die schweigende Mehrheit bilden, die für die Medien nicht attraktiv ist

albinfo.ch: In einem neulich über die Muslime in der Schweiz veröffentlichten Text sprachen ein konvertierter Muslim, eine Person aus dem Nahen Osten und eine Albanerin, die mehr Aktivistin als ein ausgebildeter Imam ist. Weshalb werden die Imame aus dem Balkan bei der Repräsentation des Islams übergangen, wenn doch die Albaner und die Bosniaken die Mehrheit der Gläubigen bilden?

Imam N. Ismaili: Ja, unsere Imame werden von den Medien auf nationaler und lokaler Ebene teilweise übergangen, weil sie die schweigende Mehrheit bilden, die keinerlei Attraktivität bietet für die Medien, die leider offensichtlich mehr daran interessiert sind, jenen Organisationen, die eine grosse Minderheit innerhalb der hiesigen Muslime bilden und sich laut gebärden, mehr Medienraum zu geben, als dem Mainstream, der zu Mass, Reife und Respektierung der öffentlichen Ordnung aufruft.

albinfo.ch: Die Mehrheit der Albaner in der Schweiz sind Muslime, die zweite und auch die dritte Generation kommt im Laufe des Erwachsenwerdens in der Schweiz in eine Phase der Suche nach der eigenen Identität. Sie sehen sich drei Identitäten gegenüber, jener als Schweizer Bürger, der ethnischen Identität als Albanerin und der religiösen, als Muslim. Inwieweit sind die vom islamischen Glauben tradierten Werte vereinbar mit der Integration in ein laizistisches und säkulares Rechts- und Gesellschaftssystem in der Schweiz, wo die autochthone Bevölkerung christlich ist?

Imam N. Ismaili: Die vom Islam tradierten Werte kollidieren nicht mit dem Laizismus, der in seinem Kern die bürgerliche, religiöse, nationale und kulturelle Identität der verschiedenen Bevölkerungsgruppen respektiert. Wir erinnern daran, dass die Schweizer Verfassung in Artikel 2, Paragraf 2 die kulturelle Vielfalt in diesem Land garantiert. Ebenso wird in Artikel 15 der Verfassung die Freiheit der Glaubensausübung auf individueller wie kollektiver Ebene garantiert. Angehörige des christlichen Glaubens und die laizistische Ordnung sind kein Hindernis in einer Gesellschaft, wo die Verfassung die religiösen Rechte der andern respektiert, und die Werte, die der Islam in die Gesellschaft bringt, werden durch diese Gesetze nicht gebrochen.

albinfo.ch: Es gab Fälle, wo Männer es ablehnten, dass ein männlicher Arzt ihre Ehefrau kontrolliere, und der Mann sprach im Namen der Frau. Dinge, die in der modernen schweizerischen und europäischen Gesellschaft allgemein inakzeptabel sind. Was raten Sie den Gläubigen in solchen Fällen zu tun? Wie passend ist der hanefitische Ansatz, um den islamischen Glauben in der Schweiz zu leben oder zu praktizieren? Ähnliche Fälle können sich auch in den Schulen ereignen, wenn es um den Besuch des Schwimmunterrichts geht und jemand die Trennung von Mädchen und Knaben fordert. Kann sich die zweite oder die dritte Generation in der schweizerischen Gesellschaft integrieren, wenn solche Dinge zu einer Angelegenheit werden?

Imam N. Ismaili: Die moderne schweizerische und europäische Gesellschaft allgemein könnte nicht eine solche sein, also eine moderne und kosmopolitische, wenn sie nicht den Multikulturalismus respektierte, der a priori die Respektierung der kulturellen Eigenschaften aller verfassungskonformen und mit den europäischen Werten übereinstimmenden Glaubensgemeinschaften mit einbegreift. Die Muslime haben vollständig Recht, zu verlangen, dass ihre kulturellen Werte, die den Glauben betreffen, in den Institutionen respektiert werden. Dieses Recht ist ihnen garantiert, und es ist nach europäischen Werten überhaupt nichts Verwunderliches, zu verlangen, dass die Frau von einer weiblichen Ärztin untersucht werden solle und der Schwimmunterricht nach Geschlecht getrennt sein soll. Die Europäer selbst trennten die WC‘s für Männer und Frauen, und niemand sagt, dass dies eine Diskriminierung sei und dem europäischen Geist widerspreche. Das sind unsere Eigenheiten, und in Übereinstimmung mit den europäischen und schweizerischen Werten verlangen wir, dass uns ihre Ausübung ermöglicht wird. Wenn wir darin zeitweise nicht unterstützt werden, weisen wir die Muslime an, gemäss dem momentan gesetzlich Erlaubten zu handeln.

Die Beziehung des Islams zur schweizerischen Gesellschaft

albinfo.ch:  Wenn die Schweizer Medien über diese Dinge zu berichten beginnen, denken Sie, dass die einheimische Bevölkerung, die in ihrer Mehrheit christlich ist und auch eine beachtliche Gruppe von Atheisten umfasst, das Gefühl haben könnte, ihre Kultur sei in Gefahr, und in dieser Gesellschaft finde schon in der Primarschule eine Segregation statt? Wie sehen Sie im Kontext der letztgenannten Fragen die Integration der Albanerinnen und Albaner muslimischen Glaubens, die von Ihnen Anweisungen erwarten, um ein Leben in dieser Gesellschaft zu führen?

Imam N. Ismaili: Die schweizerische Gesellschaft im allgemeinen europäischen Kontext ist eine Gesellschaft des Respekts gegenüber den Andern und deren Kultur. Deshalb sollte die Forderung einer Gemeinschaft nach Respektierung ihrer kulturellen Eigenheiten in einer Gesellschaft, die auf dem Prinzip der Respektierung der Werte aufbaut, niemanden ängstigen, denn sie stimmt mit dem Geist der Demokratie und den westlichen Werten überein. Respekt für sich selbst zu verlangen, ist für niemanden eine Gefahr.

albinfo.ch:  Reden die Imame in der Schweiz in zwei Sprachen, einer für die Medien und einer für die Gläubigen in der Moschee?

Imam N. Ismaili: Die Sprache der Imame ist auf allen Ebenen die gleiche, doch es kann vorkommen, dass sie falsch interpretiert oder falsch verstanden wird, oder dass ihre Worte in einen falschen Kontext übertragen werden und dass dies dann Verwirrung stiftet. Deshalb sollte der Imam persönlich konsultiert und nicht die anonym weitergegebenen Worte eines Imams beurteilt werden.

Der globale Islam, die Albaner und sein Widerschein im alltäglichen Leben hier

albinfo.ch:  In Frankreich machte eine Zeitschrift mit unbedeutender Auflage (60‘000 Exemplare auf eine Bevölkerung von 60 Millionen) einige Karikaturen, von welchen sich einige Muslime beleidigt fühlten, und es kam zu Morden und zur Radikalisierung der Haltungen zwischen Franzosen unterschiedlicher ethnischer und religiöser Herkunft. Wieso nicht diese Dinge Gott zur Beurteilung in der Ewigkeit überlassen? Mohammed selbst hinterliess den Auftrag, nicht mit jenen zu verkehren, die ihn verspotteten, doch er rief nicht zu Mord oder Strafe auf, sondern zur Ignorierung. Weshalb werden ein paar Zeichnungen zu einer Angelegenheit, anstatt dass sie ignoriert werden?

Imam N. Ismaili: Der Islam ruft nicht zu Mord auf, und ebenso wenig rechtfertigt er eine solche Tat. Doch Spott kann provozieren, und es kann zu radikalen Handlungen kommen, die auch wir als Theologen nicht kontrollieren können. Zudem werden diese Dinge in den meisten Fällen politisiert, um bei grossen protestierenden Menschenmengen emotionale Reaktionen zu verursachen, worauf letztere im Zeichen der Revolte auf der Strasse randalieren und bestimmt profitiert irgendeine Gruppe von dieser Situation. Oder irgendeine satirische Zeitschrift, die sich monatelang nicht verkauft und an die kaum jemand denkt, macht vorwärts, indem sie die Werte einer Religion schwer beleidigt, und ein paar Individuen haben materiellen Profit.

albinfo.ch:  Oft wurde gefordert, dass der Islam als Religion gesetzlich geschützt werden sollte, die Forderungen gründen auf einigen Gesetzen, hauptsächlich in Deutschland betreffend die Leugnung des Holocausts, nicht für den Schutz des jüdischen Glaubens. In den meisten europäischen Ländern gibt es keine solchen Gesetze, auch in der Schweiz nicht. Gibt es Grund, dies für den Islam in der Schweiz zu tun?

Imam N. Ismaili: Das hiesse das Problem falsch angehen, es wird nicht verlangt, dass der Islam als Religion geschützt werden soll, wenn jemand damit nicht einverstanden ist oder ihm widerspricht, doch es wird verlangt, dass die Persönlichkeiten und Heiligen, die von den Angehörigen eines Glaubens verehrt werden, vor Spott und Missachtung ihrer Würde geschützt werden, nicht vor dem Nichteinverstandensein mit ihnen.


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