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Der Opfer gedenken, neuen Gräueltaten vorbeugen

Botschaft von Bundespräsident Guy Parmelin zum internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust

Vor genau einem Jahr haben zahlreiche Staatsoberhäupter, darunter die damalige Bundespräsidentin, sowie Überlebende der Shoah, unter ihnen drei unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, auf dem Gelände von Auschwitz-Birkenau feierlich den 75. Jahrestag der Befreiung dieses Vernichtungslagers des nationalsozialistischen Regimes begangen. Sie haben sich gemeinsam dazu verpflichtet, die Erinnerung zu wahren, die Erinnerung an die sechs Millionen jüdischer Opfer des Holocaust, die Erinnerung an die nichtjüdischen Opfer des Dritten Reichs, wie die Roma, Sinti und Jenischen, und auch die Erinnerung an die anderen von Nazideutschland und seinen Verbündeten begangenen Gräueltaten.

Vergleichbare Gedenkanlässe hätten auch an den Standorten anderer ehemaliger Konzentrations- und Vernichtungslager stattfinden sollen. Sie hätten so auch daran erinnern sollen, dass sich der Holocaust nicht auf Auschwitz, ja nicht einmal auf diese Lager begrenzen lässt. Aufgrund der gegenwärtigen Pandemie mussten diese Gedenkanlässe jedoch abgesagt werden.

Die gegenwärtige Gesundheitskrise soll uns jedoch nicht vergessen lassen, worauf die Harmonie und der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft letztlich gründen: auf dem Geist der Offenheit, der Bereitschaft zum Dialog und der Bekundung von Respekt. Zweifellos gilt es, dieser Geisteshaltung noch mehr Bedeutung beizumessen, nun da unsere Gesellschaft unter Problemen leidet, die dazu verleiten, sich auf sich selbst zurückzuziehen und sich zu verschliessen; wir wären schlecht beraten von der unhaltbaren Idee, diese Probleme seien anderen anzulasten.

Jede Zeit der Instabilität begünstigt extremistische Tendenzen und ungesunde Impulse. Es genügt ein Blick auf das aktuelle internationale Geschehen, um sich davon ein Bild zu machen. Dieser psychologische Mechanismus muss durchbrochen werden und wir dürfen um keinen Preis der Versuchung nachgeben, zur Gewalt zu greifen. Daher verurteilen wir nach wie vor mit aller Deutlichkeit jede Form von Antisemitismus, von Diskriminierung und von Rassismus.

Nach 1945 sind weitere Völkermorde verübt worden. Umso entschlossener müssen wir heute konkrete Vorkehren treffen, um solche Gräueltaten zu vermeiden. Die Schweiz hat in dieser Hinsicht Pionierarbeit geleistet, indem sie vor einigen Jahren den Anstoss zur Schaffung des Netzwerks Global Action against Mass Atrocity Crimes gegeben hat. Dieses Netzwerk vereint Fachleute sowie Vertreterinnen und Vertreter von Staaten und der Zivilgesellschaft aus allen Kontinenten im Bestreben, Instrumente zur Prävention zu entwickeln.

«Das Grauen der Shoah besteht nicht darin, dass sie von menschlichen Normen abwich, sondern gerade darin, dass dies nicht der Fall war», schreibt der Historiker Yehuda Bauer über den Holocaust. Und an anderer Stelle: «Was in der Vergangenheit geschah, kann erneut geschehen, mit anderen Opfern, nicht unbedingt Juden, und anderen Tätern, nicht unbedingt Deutschen. Wir alle sind potentielle Opfer, Täter und Zuschauer».

Gedenken wir der Opfer und arbeiten wir entschlossen darauf hin, dass solche Gräuel nie wieder geschehen können!