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KR – Rassismusstrafnorm: 25 Jahre unter der Lupe

Die Norm bestraft auch die Leugnung von Völkermord oder anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Am 9. Februar 2020 hat das Schweizer Stimmvolk mit 63,1 % die Erweiterung der Strafnorm um die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung angenommen

Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) publiziert eine Analyse der Rechtsprechung zu Artikel 261bis des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB). Die Studie bietet der Öffentlichkeit einen zugänglichen Überblick über die Gerichtspraxis im Bereich Rassismus und Rassendiskriminierung. Sie vertieft bestimmte, von der EKR als besonders wichtig betrachtete Themen, insbesondere die Spannung zwischen Rassismus und Meinungsäusserungsfreiheit, die zunehmende Ausbreitung des Rassismus im Internet und in den sozialen Medien oder die Verwendung rassistischer Symbole.

Artikel 261bis StGB, die sogenannte Rassismusstrafnorm, verbietet den Aufruf zu Hass oder Diskriminierung, die Verbreitung rassistischer Ideologien, Äusserungen, die das Ziel haben, Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion herabzusetzen sowie die Verweigerung einer Leistung aus denselben Gründen. Die Norm bestraft auch die Leugnung von Völkermord oder anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Am 9. Februar 2020 hat das Schweizer Stimmvolk mit 63,1 % die Erweiterung der Strafnorm um die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung angenommen.

Die Studie der Juristin Vera Leimgruber im Auftrag der EKR ist eine qualitative Analyse der Rechtsprechung betreffend Artikel 261bis StGB vor der Erweiterung dieser Bestimmung auf die sexuelle Orientierung. Sie stützt sich auf sämtliche Urteile und Strafentscheide der verschiedenen Rechtsinstanzen vom 1. Januar 1995, Datum des Inkrafttretens der Strafnorm, bis zum 31. Dezember 2019.

Erste Feststellung: Die Rassismusstrafnorm schränkt die Meinungsäusserungsfreiheit nicht übermässig ein. In den letzten Jahren hat sich die Rechtsprechung stärker zugunsten der Meinungsäusserungsfreiheit entwickelt und diesem demokratischen Grundprinzip mehr Gewicht beigemessen, namentlich in Fragen der politischen und wissenschaftlichen Debatte. Diese Tendenz widerspiegelt sich auch in der zunehmenden Zurückhaltung des Bundesgerichts bei Fällen im Zusammenhang mit der Leugnung, Rechtfertigung oder Verharmlosung von Völkermord. Die Analyse zeigt aber auch, dass das Recht auf Meinungsäusserungsfreiheit nicht unbegrenzt ist und in keiner Weise rassistische, die Menschenwürde herabsetzende Äusserungen zulässt.

Zweite Feststellung: Die Rechtsprechung zeigt Anpassungsfähigkeit bei rassistischen Äusserungen im Internet und in den sozialen Medien, wo Hassreden signifikant zugenommen haben. Die meisten Online-Plattformen und Websites werden übereinstimmend als öffentlicher Raum nach Artikel 261bis StGB betrachtet. Dies gilt auch für private Gruppen auf Facebook oder WhatsApp, deren Mitglieder in keiner engen persönlichen Beziehung zueinander stehen. Zu klären bleiben die Fragen der Verantwortung der Internetprovider, des Umgangs mit gelöschten Nachrichten und «Likes» zu gewissen Nachrichten sowie die Möglichkeiten einer strafrechtlichen Verfolgung der Autorschaft von im Ausland verfassten Einträgen, die von der Schweiz aus zugänglich sind.

Dritte Feststellung: Symbole sind nur strafbar, wenn damit für eine rassistische Ideologie geworben wird. Allerdings zeigt die Rechtsprechung, dass die Grenze zwischen einem strafbaren Verbreiten einer rassistischen Ideologie und einem straflosen Bekenntnis zu derselben Ideologie nicht immer einfach zu ziehen ist. So ist das Tragen eines rassistischen Symbols oder eine rassistische Geste an sich nicht strafbar. Das eidgenössische Parlament hat bislang auf ein totales Verbot rassistischer Symbole verzichtet, insbesondere wegen der Schwierigkeit einer Definition der zu verbietenden Symbole. Die politische Debatte zu dieser Frage muss weiterhin verfolgt werden.