Themen

Mehrsprachigkeit als Chance

Weshalb werden in Schulen Sprachverbote aufgestellt? Ist die Bezeichnung DaZ (Deutsch als Zweitsprache) stigmatisierend? Diese und weitere Fragen beantwortet uns Deutschdidaktikerin Ermira Ljutvija.

Ermira Ljutvija ist vielen unserer Leserinnen und Lesern bekannt. Unzählige Porträts, Berichte und Übersetzungen hat sie für die albinfo.ch verfasst. 2018 begann die ehemalige Primarlehrerin mit dem Masterstudium Fachdidaktik Deutsch an der Universität Zürich und der Pädagogischen Hochschule Zürich. Zu diesem Dreifachengagement kam später noch eine Anstellung als Wissenschaftliche Assistenz an der PH Zürich hinzu, was das Hobbyschreiben vorrerst ganz in den Hintergrund geraten liess.

Heute holen wir sie wieder zurück in die Redaktion, veranlassen aber einen Rollenwechsel. Interviewt wird heute Ermira, Lehrbeauftragte für Fachdidaktik Deutsch und Deutsch als Zweitsprache an der Pädagogischen Hochschule Zug.

Albinfo.ch: Liebe Frau Ljutvija, ein erster Blick auf Ihre Berufskarriere verrät, die Arbeit im Dienste der Sprache muss Ihnen wirklich am Herzen liegen. Welche Erfahrungen bestärkten Sie, das Fach Deutsch zum Beruf zu machen?

Ermira Ljutvija: Ich muss zugeben, meine Wahl beruht weniger auf bestimmten Erfahrungen, sondern schlichtweg auf meiner Faszination für die deutsche Sprache. Und ja, vielleicht spielte mein erstsprachlicher Hintergrund doch eine gewisse Rolle. Ich erlebte Deutsch vom Kindergarten an als Herausforderung und habe deswegen stets versucht, hinter das Geheimnis dieses für mich komplexen Systems zu kommen.

Albinfo.ch: Wenn Sie Deutsch lernen herausfordernd fanden, dann können Sie bestimmt nachvollziehen, wie und weshalb einige Kindern Mühe damit haben. Geben Sie diese Erfahrungen Ihren Studierenden weiter?

Ermira Ljutvija: Meine Erfahrungen als Deutschlernerin eher weniger, vielmehr baue ich meine Erfahrungen als Lehrerin in multikulturellen Schulen in meine Seminare ein. Ich gebe auch Module in Fachdidaktik Deutsch als Zweitsprache, in denen ich aufzeige, welche sprachlichen Hürden Kindern mit nicht deutscher Erstsprache im Weg stehen. Es ist wichtig, dass zukünftige Lehrpersonen mögliche Benachteiligungen erkennen, wissen, wie und weshalb diese entstehen und sich spezifisches Fachwissen aneignen, um ihren Unterricht auf die individuellen Voraussetzungen ihrer Schülerinnen und Schüler auszurichten.

Albinfo.ch: Auf bildungspolitischer Ebene ist die Wichtigkeit und Notwendigkeit von DaZ-Unterricht unbestritten und doch bringt der Ruf «DaZ-Kind» zu sein, so etwas wie einen ersten Image-Schaden für betroffene Schüler:innen, sei es im Klassenzimmer und später vielleicht auch im Zeugnis. Können Sie den Unmut der Kinder und allenfalls ihrer Eltern verstehen?  Woran liegt das?

Ermira Ljutvija: Zusätzlicher Förderunterricht wird oft negativ interpretiert, das gilt nicht nur für DaZ-Unterricht, sondern auch für Logopädiestunden, Integrative Förderung und anderes. Dabei handelt es sich bei Förderlektionen, die spezialisiertes Lehrpersonal erfordern, um eine sehr zukunfts- und ressourcenorientierte Dienstleistung der Schulen, die sich leider nicht jede Gemeinde im gleichen Masse leisten will oder kann. Was das Stigma betrifft, haben Sie gleich selbst das perfekte Beispiel geliefert: Sie haben «DaZ»-Kind gesagt. Weshalb sagen Sie nicht mehrsprachig? Sind Sie als Klassenlehrer ein «DaZ»-Lehrer oder ein mehrsprachiger Lehrer? Ein «DaZ»-Journalist?

Albinfo.ch: Aus diesem Blickwinkel habe ich den Begriff «DaZ» noch nie betrachtet. Selbstverständlich würde ich mir eine Selbst- und Fremdbeschreibung wünschen, die meine Mehrsprachigkeit als Stärke oder zusätzliche Kompetenz darstellt und nicht mit einem impliziten Hinweis, dass meine Muttersprache nicht Deutsch ist.

Ermira Ljutvija: Sehen Sie, ein Perspektivenwechsel bewirkt sehr vieles in der Wahrnehmung einer Person. Das beginnt bereits bei der Wortwahl. Dies gilt natürlich nicht nur in Bezug auf den Unterricht, aber für Lehrpersonen, für Studierende an Pädagogischen Hochschulen ist ein sensibler Umgang mit der Sprache von besonderer Bedeutung.  Es heisst, Sprache formt unsere Wirklichkeit. Sie formt unsere soziale Wirklichkeit, unsere Vorurteile, unsere Erwartungshaltungen und somit auch unser Handeln. Wenn ich von Mehrsprachigkeit rede, dann denke ich von einer positiven Perspektive heraus: Mehrsprachigkeit ist eine Chance für Schule und Gesellschaft und kein Problem.

Albinfo.ch: Das Schweizer Bildungssystem hat eine lange mehrsprachige Tradition, wie kommt es, dass man für fliessendes Französisch oder Englisch auf dem Pausenhof Lob und Anerkennung von Lehrpersonen kriegt, hingegen bei Albanisch Kopfschütteln oder wie zuletzt Schlagzeilen von sich hören machten: Sprachverbote? Hört die Toleranz gegenüber der Sprachvielfalt bei Albanisch auf?

Ermira Ljutvija: Naja, es kommt darauf an, aus welcher Intention heraus Sprachgebrauchsregeln aufgestellt werden. Eine Sprache zu verbieten, weil man Freude daran hat, Sprachen zu verbieten, ist nicht akzeptabel. Lehrpersonen jedoch haben die Aufgabe, all ihren Schülerinnen und Schülern korrektes Deutsch beizubringen. Dazu gehört, während des Unterrichts Standarddeutsch zu sprechen, aber auch das Erlernen von Gesprächskoventionen. Ist es in Ordnung, sich mit seinem Gspänli in einer Sprache zu unterhalten, wenn eine dritte Person neben uns steht, die uns nicht versteht? Das Problem beim Sprachgebrauch auf dem Pausenhof ist, dass sich bestimmte Erstprachen häufen können. Wir hatten an meinem früheren Arbeitsort eine Klasse mit 16 albanischsprachigen Kindern, nein, ich war nicht die Lehrerin. Die Häufigkeit des Kontakts mit einer Sprache ist sehr relevant für deren Erwerb. Je nach Einzugsgebiet einer Schule und je nach privatem Umfeld des Kindes, kann sich dieser bei mangelndem Kontakt verzögern. Ausserdem wird auf dem Pausenhof Mundart gesprochen. Die identitätsstiftende Funktion von Dialekten sollte nicht verkannt werden. Trotzdem, für Verbote bin ich nicht, vielmehr sollte man sich um einen wertschätzenden Umgang bemühen. Gemeinsam mit den Kindern Sprachvergleiche herstellen, ist eine gute Methode, um alle in der Klasse gesprochenen Sprachen miteinzubeziehen, wobei man auch als Lehrperson einiges dazulernt.

Albinfo.ch: Und zum Schluss noch eine persönliche Frage: «Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Satz auf Deutsch?»

Ermira Ljutvija: (Lacht). «Eine Kilo bukë, bitte!» Da war ich fünf Jahre alt. Ich bin ohne Brot wieder nachhause.