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Alt Bundesrat Flavio Cotti verstorben

Mit grosser Trauer hat die Landesregierung zur Kenntnis genommen, dass alt Bundesrat Flavio Cotti am Mittwoch im Alter von 81 Jahren verstorben ist. Flavio Cotti bleibt in Erinnerung als ein Meister im Stiften von Konsens. Der Bundesrat und die Bundeskanzlei sprechen der Familie und den Angehörigen ihr tiefes Beileid aus

Flavio Cotti war ein Vollblutpolitiker. Seit seiner Jugend hat er sich der Politik verschrieben. Und von Anfang an hat er seinen Sinn für Pragmatismus und Offenheit bewiesen und insbesondere seine angeborene Fähigkeit, Beziehungen über gegnerische Lager hinweig zu knüpfen. Ein Beispiel unter vielen: Die überparteiliche Tessiner Jugendbewegung, an deren Spitze er war, lancierte eine Volksinitiative für das Frauenstimmrecht im Kanton Tessin. Das war 1966. In der Schweiz wurde das Frauenstimmrecht 1971 eingeführt.

Flavio Cotti wurde schon mit 36 Jahren in die Tessiner Kantonsregierung gewählt.  Nachdem er sich als Politiker auf Gemeinde- und Kantonsebene bewiesen hatte, wurde er 1983 in den Nationalrat gewählt; 1984 wurde er Präsident der CVP Schweiz. Danach dauerte es nicht mehr lange, und er wurde 1986 in den Bundesrat gewählt. Nach dem Rücktritt von Nello Celio im Jahr 1973 war damit der Kanton Tessin wieder in der Landesregierung vertreten.

Von 1987 bis 1993 stand Flavio Cotti dem Eidgenössischen Departement des Innern vor, danach dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Als Vorsteher des EDA bewies er sich als Politiker von Format und als ein Staatsmann, der über sein Lager hinaus geschätzt wurde.

In seiner Zeit als EDA-Vorsteher musste er schwierige Themen an die Hand nehmen, insbesondere die Auseinandersetzung mit den nachrichtenlosen Vermögen. Er bewies dabei Mut und den bestimmten Willen, Licht in das dunkle Kapitel der Schweizer Geschichte während des Zweiten Weltkriegs zu bringen.

An der Spitze der Schweizer Diplomatie hatte er 1996 auch die Präsidentschaft der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa inne, in einem Jahr, das der schweizerischen Aussenpolitik erneut Glanz verlieh: 1996 wurde das Dayton-Abkommen unterzeichnet, das den Bürgerkrieg in Jugoslawien beendete. 1998, ein Jahr vor seinem Rücktritt aus dem Bundesrat, brachte Flavio Cotti die Bilateralen I mit der Europäischen Union zum Abschluss.

Als Vorsteher des EDA reiste Flavio Cotti viel, traf zahlreiche Persönlichkeiten wie den Papst, Nelson Mandela, Shimon Peres und Yasir Arafat. Eine besondere Freundschaft verband ihn mit dem deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl. Er bewunderte dessen Fähigkeit, Deutschland zu einer vorbildhaften europäischen Demokratie zu machen.

Flavio Cotti bekleidete zweimal das Amt des Bundespräsidenten: 1991, im Jahr der 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft, und 1998, im Jahr der 150-Jahr-Feier des Bundesstaates.

Tief verwurzelt in der katholischen Kultur und geprägt von einem starken christlichen Humanismus, zeigte Flavio Cotti während seinen Jahren im Bundesrat seinen Sinn für Offenheit und Pragmatismus und bewies, dass er keine Angst hatte vor Veränderungen. Wer ihn gekannt hat und die Gelegenheit hatte, mit ihm zusammenzuarbeiten, erinnert sich an Flavio Cotti als einen Bewahrer mit progressiven Ideen und als verbindende Persönlichkeit. Alt Bundesrätin Ruth Dreifuss erinnert gerne daran, dass Flavio Cotti es war, der die ersten Schritte in der schweizerischen Drogenpolitik eingeleitet und die Grundlagen für das Krankenversicherungsgesetz (KVG) geschaffen hatte.

1999 verliess Flavio Cotti die Bühne der Bundespolitik. In den folgenden Jahren hatte er mehrere Mandate in der Privatwirtschaft inne. Er war nach seinem Rücktritt sehr zurückhaltend, insbesondere in den Medien, doch blieb er ein aufmerksamer Beobachter des politischen Geschehens. Und im September 2017, als die Menge Ignazio Cassis in Bellinzona mit Stolz empfing, reichte auch Flavio Cotti dem neuen Bundesrat die Hand, dem ersten Tessiner, der mehr als 20 Jahre nach ihm in den Bundesrat einzog.

Flavio Cotti starb im Spital La Carità in Locarno im Kreis seiner Familie an den Folgen einer Corona-Erkrankung.