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“Die Albaner müssen auch Verantwortung übernehmen”

Laut dem politischen Beobachter Nazim Rashidi befindet sich Makedonien auf einem schwierigen Weg des Aufbaus interethnischer Beziehungen. Seiner Ansicht nach trägt die politische Klasse zu dieser Situation bei.

Nach Ansicht von Nazim Rashidi, politischer Beobachter in Makedonien, befindet sich der makedonische Staat auf einem schwierigen Weg zur Schaffung interethnischer Beziehungen. Der albanischen politischen Klasse wirft er vor, sich taub zu stellen.

Im Gespräch mit albinfo.ch sagt Rashidi, die politische Klasse sei durch ihr Schweigen zu den Problemen mitverantwortlich für diesen Zustand. Zum Prozess um den “Fall Monstra” meint Rashidi, eine Schuld sei nie bewiesen worden.

Auf die Frage, ob das Abkommen von Ohrid aufs Spiel gesetzt werden sollte, sagte Rashidi, in Makedonien hätten seit 2001 noch andere Abkommen abgeschlossen werden können, doch das Problem sei deren Umsetzung.

Albinfo.ch: Herr Rashidi, die jüngsten Proteste zeigten, wie heikel die Lage in Makedonien ist. Wer trägt zur zunehmenden Spannung der Situation dort bei?

Rashidi: Am meisten Sorgen bereitet mir das klar fehlende Vertrauen in die Institutionen, das sich nun zeigt, und dass dagegen nichts unternommen wird. Je tiefgreifender der Vertrauensverlust, desto mehr wird es Reaktionen ausserhalb der Institutionen geben. Erstaunlich ist, und das lässt mir keine Ruhe, dass im Grunde genommen niemand die Lehren aus der Vergangenheit gezogen hat. Makedonien ging durch eine schwierige Periode, während der es sich bemühte, Vertrauen in die Institutionen aufzubauen, vor allem bei den Albanern. Das hätte Makedonien nach 2001 nur zu gut wissen sollen. Doch es geschieht das Gegenteil.

Und anstatt dass die Behörden und Institutionen selbst oder auch die albanischen Politiker mehr zur Klärung beitragen würden, tragen sie mit unüberlegten Aussagen, andere mit Schweigen, noch mehr zur Vertiefung des Misstrauens gegenüber dem Staat bei.

Albinfo.ch: Beweisen diese Proteste, dass die Albaner in Makedonien von den Inhabern der Regierungsmacht diskriminiert werden?

Rashidi: Meiner Meinung nach befindet sich Makedonien in einer Phase, in der vieles in der Hand der Albaner liegt. Das Problem liegt bei der Unfähigkeit einer ganzen politischen Klasse, die sich im institutionellen Terrain nicht zurechtfindet. Erklärungen wie “denn die Albaner werden ständig diskriminiert” stellen eine Amnestie für die albanischen Akteure dar. Jene sind jedoch Teil der Institutionen, das erklären sie uns ständig, jetzt müssen sie auch Verantwortung übernehmen.

Die Frage der gleichen Rechte ist noch nicht so weit gediehen, dass sie ein für alle Mal abgeschlossen werden könnte, vielmehr braucht es dazu ständige Aufmerksamkeit, wofür eine institutionelle Kultur geschaffen werden muss. Doch mit unfähigen Führungskräften, mit einer Auswahl von Personen, die dank kleinlichem politischen Kalkül und nicht auf Grund von Verdiensten auf ihre Posten kommen, ist dies nicht möglich, und wir werden Zeugen eines zunehmenden Abbaus sein.

Es findet eine Abwertung der demokratischen Prozesse statt, Gewalt und Angst herrschen. Doch wenn die Politiker vor Herausforderungen stehen, insbesondere institutionellen, (sicherlich mit Ausnahmen), dann schweigen sie bestenfalls, während wir alle die Opfer ihrer Ignoranz sind.

Albinfo.ch: Ist der “Fall Monstra” politisch montiert und weshalb sprechen die albanischen Richter und Juristen nicht über diesen Fall?

Rashidi: Fest steht, dass wir es mit einem unrechten Verfahren zu tun haben. Niemand glaubt dem Entscheid und niemand ist aufgrund der geschilderten Tatsachen davon überzeugt, dass es sich um die wirklichen Schuldigen des Tötungsdeliktes handelt. Betont werden muss, dass es keinen Albaner gab, der nach dem Vorfall diesen nicht verurteilte. Keiner will die Schuldigen verteidigen, doch andererseits will keiner in einem Staat leben, wo Menschen ohne Beweis schuldig gesprochen werden.

Die Leute stehen unter dem Eindruck, dass Schwache und Ungeschützte mit allem rechnen müssen (und es gibt andere Fälle, wo Verurteilungen, die Makedonier betrafen, jedoch solche mit anderer politischer Herkunft als jener der herrschenden Regierung, ebenfalls zu Reaktionen führten). Fügen wir diesem Gefühl noch das ethnische Element hinzu, haben wir die Reaktionen, wie wir sie nun sehen.

Auf der andern Seite verstärkt das Schweigen der Verantwortlichen in den Institutionen das Gefühl der Unsicherheit noch mehr, anstatt dass letztere etwas zur Beruhigung unternehmen würden. Wir haben hier nicht einen politischen Prozess, sondern vielmehr einen Prozess, bei welchem die Menschen immer mehr die Unfähigkeit der politischen Klasse erkennen.

Albinfo.ch: Weshalb schweigt die politische Klasse? Wie kommentieren Sie die albanischen politischen Parteien in Makedonien?

Rashidi: Die politischen Prozesse in Makedonien gehen von einem Terrain rein ethnischer Konfrontationen in ein zunehmend institutionelles Terrain über, wo Lösungen, die durch Abkommen offeriert werden, in Entscheiden und behördlichen Schritten umgesetzt werden müssten. Doch in dieser zweiten Phase findet sich die politische Klasse nicht zurecht, da sie Politik mehr als Lösung für den sozialen Status der Politiker ansieht, deren Interesse den Gewinnen, die dank der Macht möglich sind, und nicht den Prozessen, die Verantwortungsbewusstsein erfordern, gilt.

In der Folge wird das politische Handeln sowohl durch die Inhaber der Regierungsgewalt wie durch die Opposition abgewertet, mit unfähigen, unqualifizierten politischen Exponenten und hohen Beamten, die davon ausgehen, dass zur Führung von Institutionen ein mehr schlecht als recht erlangtes Diplom genüge, ohne sich bewusst zu sein, dass sie das Leben von Menschen in Händen halten.

Mit erschreckender Sorglosigkeit nimmt diese Klasse von Politikern ihre Aufgaben wahr, und bleibt so stecken zwischen jenem deklarativen Politisieren, in welchem die nationalistische Rhetorik vorherrscht, und dem politischen Handeln in Institutionen, wo das Gesetz herrschen sollte und wo sie sich nicht zurechtfinden. Dieser Mangel an Verantwortungsbewusstsein schafft Unzufriedenheit, und diese zeigt sich nun. Die Verärgerung wächst noch mehr, wenn Erklärungen für eine stärkere Vertretung der Albaner in den potentiell einflussreichen Positionen zu hören sind, wo doch deren Einfluss, unfähig wie sie sind, gerade so ist als wären sie gar nicht da.

Albinfo.ch: Soll das Abkommen von Ohrid aufs Spiel gesetzt werden?

Rashidi: Abkommen in politischen Prozessen entstehen als Folge einer Krise und mit dem Ziel, jene zu überwinden. So wie die Dinge heute stehen, könnten wir ein Abkommen oder auch mehrere haben, doch solange sie nicht umgesetzt werden, solange sie nicht wirken können, hätten sie nicht den geringsten Wert. Makedonien steht vor der Herausforderung, einen Staat aufzubauen, wo Recht und Gleichstellung für alle gelten, auf der Basis von welchem Abkommen auch immer.